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Berliner Morgenpost vom 5.11.2001: Simulierte Anti-Terror-Konferenz

Laufdiplomatie mit Gummibärchen

Von Marion Schmidt

Von der Uno noch geplant, von der FU Berlin jetzt simuliert: Bei einer "Weltkonferenz gegen den internationalen Terrorismus" legten sich Studenten für "ihre" Länder mächtig ins Zeug. Und kamen auf dem glatten diplomatischen Parkett bisweilen ins Schleudern - fast wie im richtigen Leben.

News vom 05.11.2001

Der Generalsekretär sitzt vor der blauen Uno-Flagge und wünscht sich einen "konstruktiven Dialog der Kulturen". Doch noch bevor er das sagen kann, beginnen Iran und Irak bereits damit, die "Weltkonferenz gegen den internationalen Terrorismus" zu blockieren: Iran lässt sich auf die Rednerliste setzen - und stellt gleich den Antrag, die Liste zu schließen. Fast alle der übrigen 48 Delegierten lehnen ab.

Kurz darauf will der Irak die Sitzung unterbrechen, um sich mit Iran zu beraten. Abgelehnt. Dann beschwert sich der iranische Delegierte, Israel gebe lieber TV-Interviews, als der Sitzung zu folgen. Und überhaupt: Ihm liege ein Entwurf gar nicht vor, die Sitzung müsse um eine Stunde unterbrochen werden.

Er wird dies noch mehrmals an diesem Samstag beantragen, es wird immer abgelehnt werden. Doch je länger sich die Teilnehmer mit Verfahrensfragen herumschlagen müssen, desto weniger Zeit bleibt ihnen, sich auf Maßnahmen gegen den Terrorismus zu einigen. Genau das wollen sie - nur Iran und Irak eben nicht.

Die Simulation eilt der Wirklichkeit voraus

Die politischen Interessen sind verschieden, sie zu vertreten kann sehr anstrengend sein, und Diplomatie kennt viele Wege. Das lernen die Studenten schnell. Gut, dass dies nur ein Spiel ist: die Simulation einer internationalen Konferenz, veranstaltet von der Freien Universität Berlin und dem Auswärtigen Amt am vergangenen Samstag. "Wir wollen versuchen, die unterschiedlichen Sichtweisen der Staaten bei der Terrorismusbekämpfung deutlich zu machen und das Bewusstsein für diese komplexe Materie zu schärfen", sagt Peggy Wittke, "Präsidentin" der Konferenz.

Wittke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am FU-Fachbereich Rechtswissenschaft und leitet die Planspiele seit acht Jahren. Diesmal ist die Simulation der Wirklichkeit voraus. Denn eine solche Weltkonferenz wird seit Jahren gefordert, und Ägyptens Präsident Mubarak hat sie einen Tag nach den Terroranschlägen in den USA bei Uno-Generalsekretär Kofi Annan erneut angemahnt. Da war die Berliner Konferenz bereits geplant.

70 Studenten hatten sich auf 26 Plätze beworben und kamen nur zum Zuge, wenn sie sich mit dem Thema und dem Land, das sie vertreten wollten, gut auskennen und Planspiel-Erfahrung haben. Zugleich achtete Peggy Wittke auf eine gute Mischung: Dabei waren Studenten von fünf Hochschulen - neben Politikwissenschaftler und Juristen auch Islamwissenschaftler, Soziologen und Publizisten. Hinzu kamen 19 Jungdiplomaten aus Staaten Osteuropas und Vorderasiens. Sie sind gerade auf einem Fortbildungslehrgang des Auswärtigen Amtes in Berlin und vertraten ihre Heimatländer.

Studenten engagierter als die echten Diplomaten

Umso erstaunlicher, dass die Studenten sich stärker für "ihr Land" ins Zeug legten als die echten Diplomaten: Viele nehmen das Spiel ziemlich ernst, identifizieren sich voll mit ihrer Rolle. "Es macht aber auch Spaß, in eine Rolle zu schlüpfen und dabei Positionen zu vertreten, die man nicht unbedingt teilt", sagt Ferry Bühring. Grinsend fügt der Berliner Jurastudent und US-Delegierte hinzu: "Es fällt mir natürlich leichter, die USA zu vertreten als den Irak."

Sein irakischer Kollege hingegen freut sich, "den Advocatus Diaboli zu spielen, den absoluten Outsider, mit dem eigentlich keiner reden will". Daniel Wunsch gibt den Vertreter Saddam Husseins dann sehr überzeugend, stört die Sitzung, beschwört die Leiden seines Volkes und wettert über die "zionistische Aggression" Israels gegen die Palästinenser - wenn auch, wie er sagt, mit "geknoteter Zunge".

Für ihn ist es auf der Konferenz besonders schwer, Verbündete zu finden. Wunsch schließt sich einem Resolutionsentwurf von Bangladesch und Syrien an und versucht gemeinsam mit ihnen, weitere Diplomaten zu gewinnen. Denn nur ein Entwurf, der von mindestens zehn Staaten unterstützt wird, kommt zur Abstimmung. "Viel Laufdiplomatie" sei das, sagt der Politikstudent. Und macht sich rasch auf den Weg zum nächsten Staat.

Indien verhandelt bei Gummibärchen mit Frankreich

Die Stimmung im Henry-Ford-Bau der FU ist geschäftig. Im Plenum wird sachlich gestritten, in den Pausen heftig diskutiert. Es werden Koalitionen geschmiedet und Abstimmungen abgestimmt. "Sehr konstruktiv, sehr arbeitsintensiv", findet Peggy Wittke.

"Hallo Indien" wird Cornelius Brökelmann gegrüßt, als er in seinem dunkelblauen Anzug an einer Gruppe hitzig debattierender Diplomaten vorbei eilt. Auch er als Vertreter Indiens muss sich die Zustimmung zu seinem Entwurf für eine Terrorismus-Definition erlaufen. Die USA konnte er schon ins Boot holen, Deutschland und Belgien schließen sich an, mit Frankreich verhandelt er noch beim Gummibärchenessen. Ägypten lehnt ab.

Das internationale Parkett ist ganz schön glatt, merken die Jungdiplomaten. "Wir können dem Auswärtigen Amt natürlich keine Vorlage für die Außenpolitik liefern", sagt Cornelius Brökelmann, "aber wir wollen mehr erreichen, als bloß den Terrorismus zu verurteilen."

Tagesordnung erledigt, die wichtigste Frage offen

Danach sieht es lange nicht aus. Der halbe Vormittag verstreicht, bis die Tagesordnung endlich steht. Bis zur Kaffeepause vergeht die Zeit mit der Frage: Was ist eigentlich Terrorismus? Und sind Freiheitskämpfer auch Terroristen?

Nach dem Tagesordnungspunkt "Maßnahmen gegen den Terrorismus" steht schließlich die Resolution. Vereinbart wird eine stärkere internationale Zusammenarbeit, auch die Geheimdienste und die Banken sollen kooperieren. Außerdem fordern die Delegierten mit großer Mehrheit mehr Entwicklungshilfe.

Dann ist die Sitzung vorüber. Über die Ursachen von Terrorismus konnten die Delegierten nicht mehr sprechen. Aber das, weiß Peggy Wittke, passiert auch bei echten Konferenzen.

 

SPIEGEL ONLINE - 05. November 2001, 15:21
URL: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,166149,00.html

 

 

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