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Katharina von Bora oder: Geschichtsmythen zu einer weiblichen historischen Person der Reformationszeit

PD Dr. Gabriele Jancke

Katharina von Bora (1499-1552), verheiratet mit dem Reformator Martin Luther und bis heute vielfach als vorbildliche Pfarrfrau beschrieben, scheint für das Thema "Geschichte als Waffe" ein völlig ungeeignetes Beispiel zu sein. Nur auf den ersten Blick allerdings.

Schaut man sich an, wie sie durch die Jahrhunderte hindurch dargestellt wurde und wird, so ändert sich dieser erste Eindruck sofort. Katharina von Bora war zunächst für ihre Zeitgenossen ein Gegenstand des Streits, bei dem es um weit mehr als ihre individuelle Person ging, die man als solche gar nicht für wichtig hielt. Für die historischen Akteur*nnen ging es ums Ganze, wenn an ihrer Person auch die Person Luthers, die reformatorische Theologie und Lebensformen sowie die kirchliche und politische Gestaltung der Gesellschaft verhandelt wurden. Diffamierungen und Verteidigungen wurden seit den 1520er Jahren gegeneinander gesetzt und über Jahrhunderte fortgeführt.

Mythen und Geschichtslegenden entstanden in diesem kontroverstheologischen Kontext und haben sich bis heute erhalten, auch wenn der kontroverstheologische Kontext längst nicht mehr besteht und unsere Gesellschaft sich von säkularen Konzepten her definiert. Dass all dies in der Regel nicht nur von ihren Produzent*nnen als wahr und den Quellen verpflichtet angesehen wird, verstärkt die Wirksamkeit und führt zu der beunruhigenden Beobachtung, dass Mythen auch mit allerbesten Absichten in Bezug auf Wahrheit produziert und rezipiert werden können und dadurch sozusagen einen heimlichen Lehrplan realisieren. Der Vortrag befasst sich mit dieser enormen und Jahrhunderte langen Wirksamkeit.