16720
Hauptseminar
SoSe 23: Shakespeare-Sonette in deutscher Übertragung
Bernadette Grubner
Kommentar
„Shakespeare-Sonnets ins Deutsche, das kann gar nicht gehen. Erstens: weil Shakespeare, in welcher Sprache auch immer, so ein Schwergewicht ist. Wer will den schon wuchten! Welcher Sterbliche ist so vermessen und will die Hanteln eines göttlichen Riesen gegen die Sterne schlagen?“ Diesen Kommentar fügt Wolf Biermann seiner eigenen, 2003 veröffentlichten Übersetzung von immerhin 40 der 154 Sonette von William Shakespeare an. Im krassen Widerspruch dazu steht ein Zitat von Novalis, mit dem dieser auf die Zusendung des ersten Bandes der Shakespeare-Werke in der Übersetzung von A.W. Schlegel antwortet: „Am Ende ist alle Poesie Übersetzung. Ich bin überzeugt, daß der deutsche Shakespeare jetzt besser als der englische ist.“ Von der Annahme, der deutsche Shakespeare sei auch der bessere, bis zur Diagnose eines zwangsläufigen Scheiterns jedes Übersetzungsversuches reichen also die Einschätzungen – dazwischen finden sich zahlreiche weitere, polarisierende und nuancierende.
Während sich die Übersetzer um 1800 vor allen Dingen mit den Dramen Shakespeares befassen, erlebt die Übersetzung der Sonette ins Deutsche erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre erste Blütezeit. Maßgeblich ist hier eine „nostrifizierende“ Übersetzungspraxis, die Rhetorik, alles Sperrige oder Schwierige und nicht zuletzt die Obszönitäten der englischen Texte abmildert oder ausmerzt, um wohlgeformte und für das gebildete Bürgertum konsumierbare Lyrik herzustellen. Kulturpolitisch lässt sich dies mit der Herausbildung einer bürgerlichen Leitkultur nationaler Prägung in Verbindung setzen.
Einen literaturhistorisch wichtigen Bruch mit dieser Tradition der anverwandelnden Übersetzung bildet Stefan Georges 1909 veröffentlichte Nachdichtung der Sonette Shakespeares. Sie bildet den Anfangs- und vielfach auch den Ausgangspunkt für die ungezählten Übersetzungen und Nachdichtungen des 20. Jahrhunderts. Karl Kraus beispielsweise verfasste seine eigenen Übertragungen der Shakespeare-Sonette dezidiert gegen diejenigen Georges.
Bis heute haben die leidenschaftlichen, bisweilen dunklen, poetologischen und erotischen Sonette nichts an Faszinationskraft und Anziehung verloren. In einschlägigen Biographien sind weit über 100 Namen von Personen verzeichnet, die sich an der Übersetzung von mindestens einem der Sonette versucht haben, unter ihnen Gustav Landauer, Johannes Schlaf, Paul Celan, Ulrike Draesner – und die Liste wird immer länger, denn bis heute gibt es laufende Übersetzungsprojekte, in Print und online.
Im Seminar werden wir in einem historischen Querschnitt anhand ausgewählter Sonette nachvollziehen, wie jede Zeit – und auch jede dichtende und übersetzende Persönlichkeit – in ihrer Auseinandersetzung mit den Shakespeare’schen Texten ihre eigenen Konzeptionen von Poetik, Übersetzung und Kulturkontakt verhandelt und welche Rolle dabei die kulturpolitische Einfassung – kultureller Kosmopolitismus und Universalismus, Nationalismus, Antifaschismus usw. – spielt. Den Interessen der Studierenden entsprechend können Schwerpunkte gesetzt werden, zum Beispiel auf Übersetzungstheorien und Dichtungskonzeptionen, auf bestimmte in den Gedichten verhandelte Themen, auf die konkrete Textarbeit u.ä. Auf keinen Fall sollen aber die Neugier und das Interesse zu kurz kommen, sich durch die zahlreichen Übersetzungsvarianten hindurch intensiv mit Shakespeares Dichtung zu befassen.
Schließen
12 Termine
Regelmäßige Termine der Lehrveranstaltung
Mo, 17.04.2023 12:00 - 14:00
Mo, 24.04.2023 12:00 - 14:00
Mo, 08.05.2023 12:00 - 14:00
Mo, 15.05.2023 12:00 - 14:00
Mo, 22.05.2023 12:00 - 14:00
Mo, 05.06.2023 12:00 - 14:00
Mo, 12.06.2023 12:00 - 14:00
Mo, 19.06.2023 12:00 - 14:00
Mo, 26.06.2023 12:00 - 14:00
Mo, 03.07.2023 12:00 - 14:00
Mo, 10.07.2023 12:00 - 14:00
Mo, 17.07.2023 12:00 - 14:00