SoSe 23: Fassbinder
Tobias Haupts
Kommentar
Rainer Werner Fassbinder gilt heute, mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod, immer noch als einer der bedeutendsten Vertreter des Neuen deutschen Films im Besonderen wie auch des deutschen Kinos im Allgemeinen. Der Filmemacher Fassbinder war immer auch der Kinogänger, der das, was er gesehen hatte, ganz Autodidakt, selbst im bundesdeutschen Kontext umsetzen wollte. Seine Rezeption des französischen Kriminalfilms beeinflusste die ersten cineastischen Selbstversuche, seine Begegnung mit den Werken Douglas Sirks seine Melodramen. Eben auf diese Bildsprache, auf die audiovisuelle Ausgestaltung des Gefühls, beziehen sich bis heute zahlreiche weitere Filmemacher wie Pedro Almodóvar, Wong Kar Wai, François Ozon, Xavier Dolan und Oskar Roehler. Fassbinders Filme waren die Geschichte Deutschlands und sind selbst zum essenziellen Teil der Geschichte des Landes geworden, waren Seismograf für die Schieflagen ihrer Zeit und zugleich weitsichtig über das Zeitgenössische hinaus. So sind seine Werke zuweilen konservativ und dann wieder queer, sind männlicher Blick und doch Frauenfilm, zeigen leidende Außenseiter und ihren Weg zu einem klein wenig Handlungsmacht im Gefüge der Gesellschaft. Als Fassbinder am 10. Juni 1982 in München mit nur 37 Jahren durch eine Mischung aus Alkohol, Drogen und einer permanenten Überarbeitung verstarb, hinterließ er der Welt ein Werk von circa 40 Filmen, eingerechnet zweier Zweiteiler wie zwei Serien; ausgenommen davon sind seine Auftritte in anderen Filmen, seine Theaterstücke, Hörspiele und Gedichte. Eben zu diesem Werk möchte der Kurs, trotz der eigenschränkten Zeit des Sommersemesters, einen Zugang finden, die Filme aus ihrer Zeit verstehen und nach ihrer möglichen aktuellen Relevanz befragen. Welche Zugriffe auf Film/Geschichte, auf das Genre, das Zuschauergefühl, auf Konzepte von Mann und Frau und darüber hinaus werden in ihnen sichtbar oder können analytisch aufgedeckt werden? Und was an bzw. in ihnen ist am Ende das Deutsche, eben jene Kategorie, mit der der Regisseur Zeit seines kurzen Lebens deutlich haderte?
Zur Einführung empfohlen sei eine Vorabsichtung, vielleicht das eigene und vorsichtige Herantasten an die Filme Fassbinders oder ein Blick in die umfangreiche Literatur zu diesem Regisseur, die es erst einmal wahrzunehmen, zu entdecken und dann einzuordnen gilt. Eine knappe Zusammenfassung seines Schaffens findet sich bei: Jürgen Felix, Rainer Werner Fassbinder. In: Thomas Koebner (Hrsg.), Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart 2008, S. 221-227.
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