SoSe 23: Das flüchtige Bild. Geisterfilme
Tobias Haupts
Kommentar
„Es gibt Geister … Überall sind sie um uns herum“ heißt es in Robert Wienes Cabinet des Dr. Caligari aus dem Jahr 1920, offenbleibend, ob es sich hierbei um eine Drohung oder eine Verheißung handeln mag. Geister sind Erscheinungen des Transitorischen, sie verharren auf dieser Schwelle, nicht tot und nicht lebendig, ab- und anwesend, sicht- und unsichtbar zugleich. Sie tauchen auf als Spuk, Heimsuchung oder Fluch, als Figuration des Schrecklichen im Horrorkino oder freundlicher Helfer im Kinderfilm. Und sie fungieren als Medien in einem performativen Sinne, stehen sie doch in ihrem Dasein immer schon für die Welt nach dem Tod, sind somit Hoffnung und Furcht zugleich, und füllen damit eine Rolle als Bote aus, wenn sie Nachrichten aus dem Jenseits ins Diesseits überbringen. Als Teil der Schauerliteratur seit dem frühen 19. Jahrhundert werden sie als die harmloseste Variation der anderen Halbwesen wie Vampire, Werwölfe oder Monster beschrieben. Als Teil eines unfinished business in dieser Welt bündeln sie häufig den tragischen Aspekten eines ehedem menschlichen und zu früh oder unter Qualen zu Ende gegangenen Lebens, als dessen Rest sie fungieren. Ihre natürliche Umgebung ist das alte Haus, das verfallene Schloss und die zerstörte Burg, kurz: die Ruine, aber auch der Friedhof, der Keller und der Speicher zählen zu ihren bevorzugten Auftrittsorten. Und letztlich auch das Kino und der Film, wenn diese auf Dauer das präsentieren, was Geister gleichfalls sein können: die sich stets aktualisierende, bleibende Erinnerung an tote Menschen.
In einem einführenden Überblick möchte der Kurs nach der Phänomenologie des Geistes und Gespenstes im Film fragen. Welche Formen der Inszenierung kennt der Film? Wie lassen sie sich beschreiben und welche Affektpoetik geht von ihnen im Kontext der audiovisuellen Entfaltung der einzelnen Szenen eines Films aus? Zur kultur- und literaturgeschichtlichen Einführung sei hier verwiesen auf das Kapitel zum Gespenst in Hans Richard Brittnachers Ästhetik des Horrors (Frankfurt am Main 1994, ab S. 25ff.) sowie der Eintrag zu Geister und Dämonen von Silke Arnold-de Simine im interdisziplinären Handbuch der Fantastik (herausgegeben von Hans Richard Brittnacher und Markus May, Stuttgart/Weimar 2013, ab S. 376ff.).
Schließen27 Termine
Regelmäßige Termine der Lehrveranstaltung