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SoSe 23: Dezentralisierung und die Kunst der Moderne

David Frohnapfel

Kommentar

Theoretiker wie Paul Gilroy (1993) oder Edward Said (1983) haben das Wandern von Ideen, Theorien, Kultur und Menschen als eine Grundvoraussetzung für intellektuelle Tätigkeit beschrieben. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde stark durch transnationale Kontaktzonen geprägt, die Künstler:innen aus unterschiedlichen Herkunftsorten—aus den (ehemaligen) Kolonien und den euroamerikanischen „Zentren“—in einen neuen Dialog miteinander brachte. Transkulturelle Austauschprozesse gelten heute als ein zentraler Motor einer modernen Kunstproduktionen, die dabei jedoch nicht frei von Konflikten war. In den Städten Europas prallte z.B. der Rassismus und der Primitivismus der Négrophilie der weißen Kunst-Avantgarde auf neue Selbstermächtigungsstrategien und Repräsentationsmodi von Négritude-Philosphinnen wie Paulette Nardal und Jeanne Nardal aufeinander. Transmoderne Kunst- und Wissenproduktion, die in anti-kolonialen Netzwerken geschaffen wurde, ist demnach als direkte Widerstandshaltung gegen die Dominanz eines eurozentristischen und ethnozentristischen Denkens zu betrachten (Kravagna 2016). Die Idee der globalen Mobilität kann dabei nicht romantisiert werden, da zahlreiche Künstler:innen ihre Herkunftsländer aufgrund von Flucht vor Diktaturen oder Kriegen und wegen Gewalt und Verfolgung verlassen mussten. In ihren Zwischenexilen und neuen Zielländern führten sie ihre Kunstproduktion fort (Dogramaci 2011). Die Vorlesung wird die Frage stellen, wie wir die Globale Moderne in der Kunst so dezentralisieren und besprechen können, dass damit nicht der „euroamerikanische“ Kanon nur gestärkt und in seiner Bedeutung re-zentralisiert wird, sondern neu herausgefordert werden kann? Der Kunsthistoriker Steven Nelson bringt diesen Ansatz mit dem folgenden Anspruch für eine dekoloniale Kunstgeschichtsschreibung auf den Punkt: „To decolonize means studying the historical avant-garde through the art and scholarship of women and authors of color. To decolonize means exploring Paris from the vantage point of Dakar. To decolonize means to analyzing Dakar in ways that don’t center Paris“ (2020). Die Vorlesung versteht Dezentralisierung der Kunst auf zwei Ebenen: (1) Eine geographischen Dezentralisierung, welche die Kunst der Moderne als transkulturelle, globale Form in Bewegung versteht, die in Kontakt- und Konfliktzonen produziert wurde und (2) als eine Dezentralisierung der diskursiven Autorität der Institution des weißen, cis-vergeschlechtlichten, heterosexuellen, euroamerikanischen Mannes. Schließen

Literaturhinweise

Bibliographie: A Questionnaire on Decolonization. 2020. ed. by Huey Copeland, Hal Foster, David Joselit, and Pamela M. Lee, October 174. Getsy, David J. 2015. Abstract Bodies. Sixties Sculpture in the Expanded Field of Gender, Yale University Press. Kat. Ausst. Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik 1945-1965, Haus der Kunst, 2016, Hrsg. von Okwui Enwezor, Katy Siegel und Ulrich Wilmes, Prestel. Kravagna, Christian. 2017. Transmoderne. Eine Kunstgeschichte des Kontakts, b_books. Messner, Anna Sophia. 2023. Palästina/Israel im Blick. Bildgeographien deutsch-jüdischer Fotografinnen nach 1933, Wallstein. Netzwerke des Exils. Künstlerische Verflechtungen, Austausch und Patronage nach 1933, Hrsg. von Burcu Dogramaci und Karin Wimmer, 2011, Gebr. Mann Verlag. Noel, Samantha. 2021. Tropical Aesthetics of Black Modernism. Duke University Press. Visualizing Empire. Africa, Europe, and the Politics of Representation, ed. by Rebecca Peabody, Steven Nelson, Dominic Thomas, Vogel, Shane. 2015. The Sensuous Harlem Renaissance. Sexuality and Queer Culture, in A Companion to the Harlem Renaissance, ed. by Cherene Sherrard-Johnson. Blackwell-Wiley, 2015), pp. 267-283. Schließen

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