17018
Hauptseminar
SoSe 23: Erzählte Verbrechen: Literatur und Kriminologie um 1900
Hendrik Schlieper
Kommentar
Die moderne Kriminologie, die Lehre vom Verbrechen, ist eng mit dem Italiener Cesare Lombroso verbunden, der in den 1870er Jahren die berühmt-berüchtigte Theorie des ‚geborenen Verbrechers‘ formuliert (L’uomo delinquente, 1876), die er später noch geschlechtsspezifisch ausdifferenziert (La donna delinquente, 1893). Literaturgeschichtlich relevant ist diese Entwicklung dahingehend, dass sich die zeitgenössische europäische Literatur, insbesondere über die Gattung ‚Roman‘, nachdrücklich an der Popularisierung und Verhandlung kriminologischer Fragestellungen beteiligt. Erzählte Verbrechen prägen dergestalt die französische, italienische und spanische Literatur um 1900 gleichermaßen.
Das Seminar widmet sich diesem Phänomen in einer sprachübergreifenden, transnationalen und vergleichenden Perspektive. Auf dem Semesterprogramm stehen mit Émile Zolas La Bête humaine (1890 als 17. Band des Rougon-Macquart-Zyklus), Gabriele D’Annunzios L’Innocente (1892) und Emilia Pardo Bazáns La piedra angular (1891) drei Romane, die sich auf je eigene Weise mit der Herausbildung und Institutionalisierung der Kriminologie in Verbindung bringen lassen. Die Diskussion dieser Texte zielt einerseits auf die Anwendung und Vertiefung von Techniken der Erzähltextanalyse, andererseits auf die Erschließung kulturgeschichtlicher Kontexte, die für die Entstehung der modernen ‚Disziplinargesellschaft‘ richtungsweisend sind.
Alle Teilnehmer*innen werden gebeten, je nach Interesse und Sprachenschwerpunkt mind. eine der folgenden Studienausgaben anzuschaffen und sich in einer ersten Lektüre bis Seminarbeginn mit dem Text vertraut zu machen:
Émile Zola, La Bête humaine, hg. v. Christophe Reffait, Paris: Flammarion 2018 (GF, 1319),
Gabriele D’Annunzio, L’Innocente, hg. v. Maria Rosa Giacon, Mailand: Mondadori 2020 (Oscar Moderni, 438),
Emilia Pardo Bazán, La piedra angular, hg. v. Carmen Botello, Madrid: Cátedra 2013 (Cátedra base).
Den Ausgangspunkt der Seminararbeit bildet ein kulturwissenschaftlicher Essay Carlo Ginzburgs, der die strukturellen Gemeinsamkeiten von Kriminologie, Psychoanalyse und Philologie herausarbeitet. Die Lektüre dieses (zu Recht vielzitierten) Textes vor Seminarbeginn sei ebenfalls empfohlen; rasch greifbar ist er in der folgenden deutschen Ausgabe: Carlo Ginzburg, „Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli – die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst“, in: ders., Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, übers. v. Gisela Bonz und Karl F. Hauber, Berlin: Wagenbach 2011, S. 7-57. Einen guten Einstieg in die Seminarthematik bietet darüber hinaus Jonathan R. Hiller, „Lombroso and the science of literature and opera“, in: Paul Knepper, P. J. Ystehede (Hg.), The Cesare Lombroso Handbook, London, New York: Routledge 2013, S. 226-252. Schließen
14 Termine
Regelmäßige Termine der Lehrveranstaltung
Di, 18.04.2023 16:00 - 18:00
Di, 25.04.2023 16:00 - 18:00
Di, 02.05.2023 16:00 - 18:00
Di, 09.05.2023 16:00 - 18:00
Di, 16.05.2023 16:00 - 18:00
Di, 23.05.2023 16:00 - 18:00
Di, 30.05.2023 16:00 - 18:00
Di, 06.06.2023 16:00 - 18:00
Di, 13.06.2023 16:00 - 18:00
Di, 20.06.2023 16:00 - 18:00
Di, 27.06.2023 16:00 - 18:00
Di, 04.07.2023 16:00 - 18:00
Di, 11.07.2023 16:00 - 18:00
Di, 18.07.2023 16:00 - 18:00