WiSe 23/24: Motive des Verschwindens in der Gegenwartsliteratur
Jan Lietz
Kommentar
In der avantgardistischen deutschsprachigen Literatur des vergangenen Jahrzehnts hat das Motiv des Verschwindens wieder an Konjunktur gewonnen. In Romanen wie Einladung an die Waghalsigen (2010) von Dorothee Elmiger, Unser großes Album elektrischer Tage (2018) von Johanna Maxl, Miami Punk (2019) von Juan S. Guse oder Die Realität kommt (2022) von Rudi Nuss verschwinden Personen, Flüsse oder ganze Meere. Das Seminar geht von der Hypothese aus, dass das Motiv des Verschwindens in diesen Texten allerdings nicht allein inhaltlich wirksam ist, sondern vor allem auch formal. Wenn das Motiv die narrativen Bewegungen dieser Texte strukturiert, so sind diese nämlich keineswegs durch eine lineare formgebende Handlung integriert, in der jedes Element notwendig aus dem anderen folgt. Viel eher stellen sie ihre Lücken- und Sprunghaftigkeit aus und setzen auf Verfahren der Vervielfältigung von Erzählperspektiven und -stimmen, die permanent über sich selbst hinausverweisen und sich kaum zu einer geschlossenen Gestalt fügen. Gemeinsam wollen wir darüber nachdenken, inwiefern diese Texte also im Motiv des Verschwindens das Verschwinden der Möglichkeit einer integrativen Erzählung reflektieren. Zugleich wollen wir die Frage diskutieren, welche politischen Implikationen die hier entstehenden literarischen Formen haben. Neben den genannten Romanen werden wir punktuell (literatur)theoretische Texte hinzuziehen, insbesondere zur Theorie des Motivs.
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