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Vorlesung
Osteuropa: postkolonial/dekolonial?
Katharina Bluhm, Susanne Strätling
Kommentar
Als sich in den 1960er-1970er Jahren die Postcolonial Studies als Paradigma herauszubilden begannen, lag der Fokus der Forschung vor allem darauf, die Konsequenzen kolonialer Herrschaft in Afrika sowie im Mittleren und Fernen Osten aufzuarbeiten. Spätestens seit den 2000er Jahren aber, mit der Intensivierung der Erforschung der Global- und Imperialgeschichte, ist auch Osteuropa zunehmend in den Blick der Postcolonial Studies gerückt. In der Folge kam es zu einer grundlegenden Neuperspektivierungen der Ost-West-Beziehungen, durch die Osteuropa unter anderem als Projektionsfläche für westliche „Erfindungen“ (Larry Wolff) erschien, und es verstärkte sich die kritische Revision der geopolitischen Agenden derjenigen Imperien, die im osteuropäischen Raum und an seinen Grenzen wirksam waren und sind.
Mit dem 24. Februar 2022 hat sich diese Situation noch einmal verändert. Nun steht nicht mehr ‚nur‘ die Frage einer postkolonialen Erforschung Osteuropas zur Debatte – die Dekolonialisierung der Osteuropastudien selbst ist auf die Tagesordnung gesetzt worden. Dass, so wird argumentiert, in der Russischen Föderation neoimperiale Ambitionen erstarken konnten und nicht zuletzt nach der Annexion der Krim 2014 auch zum Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine führten, habe auch mit einer symptomatischen Position der Osteuropastudien zu tun, die in ihrem Russozentrismus über viele Jahrzehnte die politischen Hegemonieansprüche der Russischen Föderation akademisch gestützt hätten.
Vor dem Hintergrund dieser Diagnose lädt die Grundlagenvorlesung Vertreter:innen unterschiedlicher Disziplinen ein, darüber nachzudenken, was „Osteuropa postkolonial/dekolonial“ heißen kann. Welche blinden Flecken des Forschungsfeldes Osteuropa geraten hier in den Blick? Welche alternativen Geschichtsschreibungen eröffnen sich aus einer postkolonialen Perspektive? Welche Perspektiven auf Osteuropa bietet die postkoloniale/dekoloniale Forschung? Zur Diskussion steht aber auch die grundsätzliche Frage, was postkoloniale Perspektiven in der wissenschaftlichen Analyse leisten können und wie weit der Konzepttransfer vom globalen Süden auf klassische Imperien in Europa sowie auf die Sowjetunion oder gar den Ostblock trägt. Dabei gehen die wissenschaftlichen Perspektiven weit auseinander: Während Postcolonial Studies vor allem in den Geisteswissenschaften zum Kerninventar der methodischen Ansätze zählen und als unverzichtbar für eine präzise Analyse asymmetrischer globaler Machtstrukturen gelten, werden sie von den Teilen der Sozialwissenschaften oft sehr kritisch betrachtet. In den quantitativen Sozialwissenschaften lässt sich gegenwärtig eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Untersuchung von Phänomenen beobachten, die mit dem Begriff „Legacy” bezeichnet werden. In diesem Kontext wird beispielsweise den langfristigen Folgen sowjetischer Institutionen und Politiken in den Ländern Ost- und Mitteleuropas auf gegenwärtige wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklungen nachgegangen. Gleichzeitig spielt die imperiale Legacy-Forschung mit einem Fokus auf den langfristigen Einfluss der großen europäischen Imperien des 18. und 19. Jahrhunderts eine wachsende Rolle, die im Zeithorizont deutlich über das Erbe der Sowjetunion hinausgeht. Darüber hinaus hat sich in vielen Fächern die Dezentrierung der Forschungsperspektiven vom “Westen” und der westlich-europäischen Moderne verstärkt.
Ziel der Grundlagenvorlesung ist die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Post- und Dekolonialisierungsperspektiven konzeptionell und empirisch zu beleuchten, um ihre Leistungsfähigkeit mit Bezug auf Osteuropa zu eruieren.
Aktive Teilnahme: Studierende müssen an zwölf der insgesamt 16 Termine (75%) teilnehmen. Schließen
Mit dem 24. Februar 2022 hat sich diese Situation noch einmal verändert. Nun steht nicht mehr ‚nur‘ die Frage einer postkolonialen Erforschung Osteuropas zur Debatte – die Dekolonialisierung der Osteuropastudien selbst ist auf die Tagesordnung gesetzt worden. Dass, so wird argumentiert, in der Russischen Föderation neoimperiale Ambitionen erstarken konnten und nicht zuletzt nach der Annexion der Krim 2014 auch zum Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine führten, habe auch mit einer symptomatischen Position der Osteuropastudien zu tun, die in ihrem Russozentrismus über viele Jahrzehnte die politischen Hegemonieansprüche der Russischen Föderation akademisch gestützt hätten.
Vor dem Hintergrund dieser Diagnose lädt die Grundlagenvorlesung Vertreter:innen unterschiedlicher Disziplinen ein, darüber nachzudenken, was „Osteuropa postkolonial/dekolonial“ heißen kann. Welche blinden Flecken des Forschungsfeldes Osteuropa geraten hier in den Blick? Welche alternativen Geschichtsschreibungen eröffnen sich aus einer postkolonialen Perspektive? Welche Perspektiven auf Osteuropa bietet die postkoloniale/dekoloniale Forschung? Zur Diskussion steht aber auch die grundsätzliche Frage, was postkoloniale Perspektiven in der wissenschaftlichen Analyse leisten können und wie weit der Konzepttransfer vom globalen Süden auf klassische Imperien in Europa sowie auf die Sowjetunion oder gar den Ostblock trägt. Dabei gehen die wissenschaftlichen Perspektiven weit auseinander: Während Postcolonial Studies vor allem in den Geisteswissenschaften zum Kerninventar der methodischen Ansätze zählen und als unverzichtbar für eine präzise Analyse asymmetrischer globaler Machtstrukturen gelten, werden sie von den Teilen der Sozialwissenschaften oft sehr kritisch betrachtet. In den quantitativen Sozialwissenschaften lässt sich gegenwärtig eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Untersuchung von Phänomenen beobachten, die mit dem Begriff „Legacy” bezeichnet werden. In diesem Kontext wird beispielsweise den langfristigen Folgen sowjetischer Institutionen und Politiken in den Ländern Ost- und Mitteleuropas auf gegenwärtige wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklungen nachgegangen. Gleichzeitig spielt die imperiale Legacy-Forschung mit einem Fokus auf den langfristigen Einfluss der großen europäischen Imperien des 18. und 19. Jahrhunderts eine wachsende Rolle, die im Zeithorizont deutlich über das Erbe der Sowjetunion hinausgeht. Darüber hinaus hat sich in vielen Fächern die Dezentrierung der Forschungsperspektiven vom “Westen” und der westlich-europäischen Moderne verstärkt.
Ziel der Grundlagenvorlesung ist die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Post- und Dekolonialisierungsperspektiven konzeptionell und empirisch zu beleuchten, um ihre Leistungsfähigkeit mit Bezug auf Osteuropa zu eruieren.
Aktive Teilnahme: Studierende müssen an zwölf der insgesamt 16 Termine (75%) teilnehmen. Schließen
Literaturhinweise
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Pucherová, Dorota, & Gáfrik, Róbert (Eds.). (2015). Postcolonial Europa? Essays on Post-Communist Literatures and Cultures. Leiden; Boston.
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16 Termine
Regelmäßige Termine der Lehrveranstaltung
Mi, 16.10.2024 14:00 - 16:00
Mi, 23.10.2024 14:00 - 16:00
Mi, 30.10.2024 14:00 - 16:00
Mi, 06.11.2024 14:00 - 16:00
Mi, 13.11.2024 14:00 - 16:00
Mi, 20.11.2024 14:00 - 16:00
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Mi, 11.12.2024 14:00 - 16:00
Mi, 18.12.2024 14:00 - 16:00
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Mi, 15.01.2025 14:00 - 16:00
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Mi, 29.01.2025 14:00 - 16:00
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Mi, 12.02.2025 14:00 - 16:00