SoSe 24: Literatur im öffentlichen Raum
Boris Roman Gibhardt
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Anders als die Literatur in Buchform, auf die wir uns meist bewusst einstellen, ist Literatur im öffentlichen Raum oft eine, die uns mitten in der Bewegung zustößt, sei es als Graffiti an einer Hauswand, als Gedicht auf einer Bäckertüte, als Installation während eines Ausstellungsrundgangs in einem Museum. Gemeinsam ist diesen Ereignisformen von Literatur, dass sie in unsere räumliche Praxis eingreifen und Literatur über Raum, Raum über Literatur vermitteln. Dieses ‚Place Making‘ zeigt uns, dass es Literatur und Sprache bei aller Abstraktheit durchaus vermag, physische Räume zu konstituieren – Räume der Autorschaft, der Rezeption, der sozialen Interaktion, des kulturellen Gedächtnisses und des politischen Aktivismus. Wie wirkt dann das Räumliche wieder zurück auf unser Denken? Welche Bedeutung hat Ortsgebundenheit angesichts neuer globaler und digitaler Räume? Was ist dabei die literaturhistorische Dimension? Denn das Öffentlich-Werden von Literatur in der bürgerlichen Gesellschaft reicht hierzulande mindestens zurück in die frühe Romantik, als Buchlektüren kollektive Moden auszulösen begannen. Auch materiell sind viele historische (Wohn-und Schaffens-) Orte überliefert, an denen sich heute, also hundert oder zweihundert Jahre später, nachvollziehen lässt, wie Autoren und Dichter, meist männliche, zu Akteuren der literarischen Öffentlichkeit wurden und/oder in der Rezeption öffentlichkeitswirksam für politische Zwecke instrumentalisiert wurden.
Wie gehen wir mit diesem Erbe in kanon-skeptischen Zeiten um, lassen sich dabei wirkmächtige, von der Germanistik etablierten ‚Meister‘-Erzählungen vielleicht gerade durch Ortsspezifik transparent machen und überwinden? Wie können an historischen Orten des kulturellen Gedächtnisses durch Kuration, Intervention und Literatur-Vermittlung neues Wissen und inklusivere Formen gesellschaftlicher Teilhabe entstehen? Das Seminar schlägt einen Bogen vom späteren 18. Jahrhundert bis zu den Literatur- und Autorschaftsinszenierungen der Gegenwart und den Programmarchitekturen konkreter Literaturinstitutionen. Wer setzt sich durch im Literaturbetrieb der Mehrheitsgesellschaft, welchen Raum gibt es für alternative, z.B. ‚queerende‘ und störende Erzählungen und plurale Sichtweisen? Welche Rolle spielt Körperlichkeit als Performanz im heutigen literarischen Feld und wie äußert sich die Spannung von Eigenem und Fremden sowie von Intimität (Verwundbarkeit) und Sichtbarkeit (Repräsentation/Exposition)?
Im Seminar denken wir darüber nach, wie wir selbst ‚intra-aktiv‘ immer schon involviert sind in das Öffentlich-Werden von Literatur(wissenschaft) und welche Gestaltungsmöglichkeiten daraus erwachsen. Methodisch wollen wir interdisziplinär (Literatur und Kunst im öffentlichen Raum), kultur- und medienwissenschaftlich (Formate der Literatur, Schrift und Visualität, Performing Arts, Rezeptionsformen) und klar anwendungsbezogen (Praxis-Beispiele des heutigen Literaturbetriebs) vorgehen. Eine gemeinsame Exkursion in den Berliner Stadtraum ist geplant.
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