31303 Seminar

WiSe 24/25: Die „verbrannten Dörfer“ von Belarus. Dokumentarisches Erzählen, Zeugenschaft, Erinnerung

Nina Weller

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Im Jahr 1975 erschien im Minsker Verlag „Mastackaja literatura“ das Buch Ja z vohnennaj vëski... / Ich bin aus einem Feuerdorf... . Darin hatten die belarussisch-sowjetischen Autoren Ales’ Adamovic, Janka Bryl’ und Uladzimir Kalesnik die Erinnerungen von Überlebenden der zwischen 1941 und 1944 in Belarus verübten nationalsozialistischen Massaker zu einem „Chor der Stimmen“ versammelt. Das Buch gehört neben dem Blokadnaja kniga / Blockadebuch (mit Zeugenberichten von Überlebenden der Blockade Leningrads) zu den Meilensteinen der sowjetischen Erinnerungsliteratur und gilt als Schlüsselwerk des vielstimmigen dokumentarischen Erzählens, von dem sich auch Svetlana Aleksijevic beeinflussen ließ. Unter dem Titel Feuerdörfer wird das Buch im November 2014 erstmals in deutscher Übersetzung (übersetzt von Thomas Weiler), im Aufbau-Verlag erscheinen. Diese Übersetzung nimmt das Seminar zum Anlass, um sich zum einen mit den deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs im Osteuropa (speziell: in Belarus) vertraut zu machen und die geschichtspolitischen Dimensionen dieser Ereignisse sowie die „Leerstellen“ der Erinnerung von den 1960er Jahren bis heute zu diskutieren. Zum anderen werden vor dem Hintergrund des „Feuerdorfbuchs“ und an weiteren ausgewählten Texten einigen zentralen Fragen nach den Funktionen und Erscheinungsweisen von Zeugenschaft und dokumentarischem Erzählen nachgehen, die auch heute, angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, hochaktuell sind: Was bedeutet es genau, den Krieg zu dokumentieren? Was unterscheidet die unmittelbare Zeugenschaft von der rückblickenden Erinnerung? Unter welchen Umständen und zu welchem Zweck werden eigene und fremde Opfer- und Tätererfahrungen zu bezeugenden Dokumenten? Wie weit reicht die Befugnis, die Zeugenberichte anderer zu sammeln, zu bearbeiten, zu publizieren? Wie hat sich der die Reflexion des ‚Wahrheitsbegriff‘ in den dokumentierenden Medien (Literatur, Foto, Film) verändert und wie gehen wir im „postfaktischen“ Zeitalter mit der deklarierten Evidenz faktengestützter Dokumente um?

Aktive Teilnahme: Kurzreferat, Thesenpapier, Exzerpt/Kurzessay, Essay, Sitzungsmoderation oder Sitzungsprotokoll close

Suggested reading

• Davies, Franziska/Makhotina, Katja: Offene Wunden Osteuropas: Reise zu Erinnerungsorten des Zweiten Weltkriegs. Darmstadt: Wbg Theiss, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2022. • Gansel, Carsten und Peter Braun (Hrsg.): Dokumentarisches Erzählen – Erzählen mit Dokumenten in Literatur, Journalismus und Film, Berlin: Opaki Verlag 2020. • Adamowitsch, Ales/Bryl, Janka/Kalesnik, Uladsimir: Feuerdörfer. Wehrmachtsverbrechen in Belarus - Zeitzeugen berichten. Aus dem Belarussischen von Thomas Weiler. Berlin: Aufbau Verlag [erscheint November 2024) [Auszüge] • Adamowitsch, Ales/Granin, Daniil: Blockadebuch: Leningrad 1941-1944. Aus dem Russischen von Ruprecht Willnow und Helmut Ettinger. Berlin: Aufbau Verlag 2017. • Weller, Nina (2018): Vielstimmige Gegengeschichten Kriegserfahrung und Kriegsdarstellung bei Ales’ Adamovic, Daniil Granin und Svetlana Aleksievic. In: Osteuropa (1-2/68), S. 165–182. close

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