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Seminar
Experimentelle Formen literarischer Übersetzung: Praktiken, Theorien, Kontexte
Anna Luhn
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Der Übersetzungstheoretiker Jirí Levý verglich das Mindset, mit dem wir eine Übersetzung lesen, mit der Verfassung, in der wir uns ein Theaterstück anschauen. Die Übersetzung sei eine Illusion, „die sich auf ein Einvernehmen mit dem Leser oder mit dem Zuschauer stützt: der Theaterbesucher weiß, daß das, was er auf der Bühne sieht, nicht die Wirklichkeit ist, er verlangt jedoch, daß es wie die Wirklichkeit aussehen soll“. Gleiches gelte für die Übersetzung: Wir wissen, dass Cervantes Don Quixote nicht auf Deutsch geschrieben hat, sind aber dennoch bereit anzunehmen, dass wir Don Quixote lesen, wenn wir eine deutsche Übersetzung vor uns haben – sofern ihre Ausgestaltung diesen Illusionspakt zulässt. Was aber geschieht, wenn eine Übersetzung sich genau diesem Pakt verweigert? Wenn die etablierte, in aller Regel implizite Norm der Äquivalenz, die für uns eine literarische Übersetzung ausmacht, verletzt wird – wenn zum Beispiel ein Sonett in der Übersetzung die Form eines Haikus annimmt, oder der Gedichtbeginn „My heart leaps“ (Wordsworth) als „mai hart lieb“ ins Deutsche übertragen wird (Jandl)? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für unser Lesen, für das Verhältnis von ‚Original‘ und ‚Übersetzung‘, für die Frage nach Methodik und Theorie der literarischen Translation? Unter welchen Prämissen kann „toupetlos umarmt uns nun trostkollers wanderlobby“ (Pastior) als Übersetzung des Verses „Voici venir les temps où vibrant sur sa tige“ (Baudelaire) gelten? Im Seminar befassen wir uns mit solchen (nach Levý) dezidiert ‚anti-illusionistischen‘ Translationsformen und den ihnen unterliegenden theoretischen Reflexionen. Wir analysieren Texte aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die die Bezeichnung ‚Übersetzung‘ zwar für sich in Anspruch nehmen, zugleich aber das landläufige Verständnis von Übersetzung auf ganz unterschiedliche Weise sprengen, und versuchen ihren Prinzipien, Systematiken und Verfahren auf die Spur zu kommen – auch in der eigenen Exploration (und Invention) ‚experimenteller‘ Übersetzungsverfahren. Zugleich nehmen wir, stets im Vergleich zu zeitgenössisch geltenden Übersetzungskonventionen, die soziopolitischen wie technologischen Entstehungskontexte (Stichwort: machine translation) dieser Übersetzungspraktiken und -poetiken in den Blick und befragen sie nach ihrer kritischen Stoßrichtung. Die Seminarlektüre wird unter anderem Texte in französischer Sprache und ggf. weiterer romanischen Sprachen umfassen. Umfassende Sprachkompetenzen sind aber keinesfalls Voraussetzung zur Teilnahme, sofern die Bereitschaft zur eigenständigen Auseinandersetzung mit fremdsprachigen Texten besteht. close
16 Class schedule
Regular appointments
Tue, 2024-10-15 10:00 - 12:00
Tue, 2024-10-22 10:00 - 12:00
Tue, 2024-10-29 10:00 - 12:00
Tue, 2024-11-05 10:00 - 12:00
Tue, 2024-11-12 10:00 - 12:00
Tue, 2024-11-19 10:00 - 12:00
Tue, 2024-11-26 10:00 - 12:00
Tue, 2024-12-03 10:00 - 12:00
Tue, 2024-12-10 10:00 - 12:00
Tue, 2024-12-17 10:00 - 12:00
Tue, 2025-01-07 10:00 - 12:00
Tue, 2025-01-14 10:00 - 12:00
Tue, 2025-01-21 10:00 - 12:00
Tue, 2025-01-28 10:00 - 12:00
Tue, 2025-02-04 10:00 - 12:00
Tue, 2025-02-11 10:00 - 12:00