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„Wir müssen uns austauschen!“

Abschlusskonferenz des internationalen Forschungskollegs „Verflechtungen von Theaterkulturen“ vom 21. bis 24. Juni / Interview mit der Leiterin des Kollegs, Professorin Erika Fischer-Lichte

18.06.2018

Pansori ist ein langer epischer Gesang, bei dem ein einzelner Sänger oder eine Sängerin von einem Trommler auf einer Fasstrommel begleitet wird. Pansori begeistert mittlerweile nicht nur in Korea.

Pansori ist ein langer epischer Gesang, bei dem ein einzelner Sänger oder eine Sängerin von einem Trommler auf einer Fasstrommel begleitet wird. Pansori begeistert mittlerweile nicht nur in Korea.
Bildquelle: wikimedia Steve46814 CC BY-SA 3.0

Was passiert, wenn nigerianische und chinesische Theaterkünstler zusammenarbeiten? Oder marokkanische mit japanischen? Diese und ähnliche Fragen untersuchen Theaterwissenschaftlerinnen und Theaterwissenschaftler seit zehn Jahren im internationalen Forschungskolleg „Verflechtungen von Theaterkulturen“. Vom 21. bis 24. Juni 2018 findet in Berlin die Abschlusskonferenz statt, die Forschung wird bis 2020 weitergeführt. Im campus.leben-Interview zieht Erika Fischer-Lichte, Professorin für Theaterwissenschaft und Leiterin des Kollegs, ein Resümee.

Frau Professorin Fischer-Lichte, der Begriff der „Verflechtung“ ist zentral für die Arbeit des Kollegs. Was genau ist damit gemeint?

Das Theater ist heute global ausgerichtet. Dort treffen Schauspieler, Regisseurinnen, Tänzer, Sprachen, Techniken und Ästhetiken aus allen Ländern der Erde aufeinander. Seit den 1980er und 90er Jahren entstehen so an verschiedenen Orten der Welt Theaterformen, in denen sich Theaterkulturen miteinander verflechten. In den 80er Jahren wurde dieses Phänomen „interkulturelles Theater“ genannt. Wir haben uns mit „Verflechtung“ bewusst gegen den Begriff gewandt.

Warum?

Meiner Ansicht nach hat das sogenannte interkulturelle Theater an einem Gegensatz zwischen dem Westen und einem großen Nicht-Westen festgehalten. Dabei schwang zugleich die Idee einer Dominanz des Westens mit. In diesem Konzept ist es nicht vorgesehen, dass nicht-westliche Theaterformen ohne Beteiligung des Westens kooperieren. Dabei gibt es heute längst indische Regisseure, die auf Formen des westafrikanischen Yoruba-Theaters zurückgreifen — oder japanische Regisseurinnen, die sich für eine Zusammenarbeit mit lateinamerikanischen Theatern interessieren. Die daraus entstehenden Formen untersuchten wir am Kolleg.

Auf welche Ergebnisse stößt man dabei?

Ein weitreichendes Vorurteil von vielen Kritikern des internationalen Festivaltheaters ist etwa, dass Verflechtungen zu Homogenisierung führen würden. So hieß es häufig: „Heute sieht alles gleich aus! Das ist also globale Einheitsästhetik!“ Unsere Arbeit hat gezeigt, dass das absolut nicht zutrifft. Wenn junge Regisseurinnen und Regisseure heute ganz selbstverständlich auf ästhetische Praktiken anderer Kulturen zurückgreifen, dann folgt daraus keine Homogenisierung, sondern die Entstehung neuer Formen. Und diese Formen sind es, die uns interessieren.

Was wird Thema der Abschlusskonferenz sein?

Wir werden uns insbesondere mit dem Thema „Wissen“ auseinandersetzen. Unser Argument ist, dass sich Theaterkulturen aus ästhetischen Gründen verflechten, aber auch, weil Verflechtungen notwendig sind, um neues Wissen hervorzubringen. Dabei geht es nicht nur um ästhetisches, sondern auch um soziales Wissen — heute können wir drängende gesellschaftliche Fragen nur noch beantworten, wenn wir uns untereinander austauschen und unser Wissen aufeinander beziehen. Es stellt sich natürlich die Frage, ob auch Wissen verlorengeht, wenn wir uns verflechten. Und wenn das der Fall ist, wie wir damit umgehen.

In dieser Hinsicht erleben wir ganz unterschiedliche Haltungen bei den Kolleginnen und Kollegen. Jene, die aus ehemals kolonisierten Ländern stammen, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, mussten die Erfahrung machen, dass man ihnen ihr kulturelles Wissen aus der Vergangenheit geraubt oder für minderwertig erklärt hat. Das sind ganz andere Erfahrungen, als man sie in Japan oder China macht, wo die Menschen sehr selbstsicher sind, was den Bestand ihres kulturellen Erbes anbelangt.

Wie wird es nach der Abschlusstagung weitergehen?

Wir werden die nächsten zwei Jahre nutzen, um die Ergebnisse der Tagung auszuwerten und noch laufende Publikationsprojekte abzuschließen. Danach, da bin ich mir sicher, werden unsere mehr als 100 ehemaligen Fellows überall auf der Welt unser Projekt auf ihre Weise fortführen.

Die Fragen stellte Dennis Yücel

Weitere Informationen

Abschlusskonferenz des internationalen Forschungskollegs „Verflechtungen von Theaterkulturen“

Orte und Zeiten:

  • Eröffnungsvortrag von Homi K. Bhabha, 21. Juni 2018, Beginn 18 Uhr: Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Plenarsaal, 10117 Berlin-Mitte, S- und U-Bhf. Brandenburger Tor (S1, S2, S25, U55, Bus TXL, Bus 100, Bus 200)
  • Weitere Vorträge und Panels, 22. und 23. Juni 2018, 10 bis 18 Uhr sowie 24. Juni 2018, 9 bis 13 Uhr: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Clubraum, 10557, Berlin-Tiergarten, S-Bhf. Bellevue (S5, S7, S75, S9), U-Bhf. Hansaplatz (U9, Bus 106)
  • Buchpräsentation: Regiekunst heute. Stimmen und Positionen aus China mit Tian Mansha und Herbert Fritsch, 23. Juni 2018, Beginn 19 Uhr: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Clubraum, 10557, Berlin-Tiergarten, S-Bhf. Bellevue (S5, S7, S75, S9), U-Bhf. Hansaplatz (U9, Bus 106)
  • Performance: Sand In The Eyes. Non-academic Lecture von Rabih Mroué, 22. Juni 2018, Beginn 20 Uhr: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Studio, 10557, Berlin-Tiergarten, S-Bhf. Bellevue (S5, S7, S75, S9), U-Bhf. Hansaplatz (U9, Bus 106)

Programm und Tickets: