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Widerstandsfähig in der Krise

Der Biologe Matthias Rillig von der Freien Universität zieht Lehren aus der Corona-Krise und beschreibt in einem Fachartikel, wie sich Arbeitsgruppen auf außergewöhnliche Umstände vorbereiten können

16.04.2020

Nicht nur Pandemien, sondern auch politische Instabilität, Kriege oder Naturkatastrophen können Forschungsarbeiten empfindlich stören. Mit zehn Regeln können Arbeitsgruppen vorbeugen.

Nicht nur Pandemien, sondern auch politische Instabilität, Kriege oder Naturkatastrophen können Forschungsarbeiten empfindlich stören. Mit zehn Regeln können Arbeitsgruppen vorbeugen.
Bildquelle: Michael Fahrig

Aus Krisen lernen – Ökologieprofessor Matthias Rillig hat dieses Motto beherzigt und im Handumdrehen umgesetzt. Zusammen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seiner Arbeitsgruppe, sowie wissenschaftlichen Gästen hat er zehn einfache Prinzipien aufgestellt, wie sich wissenschaftliche Arbeitsgruppen auf Ernstfälle wie die aktuelle Corona-Pandemie vorbereiten können.

Denn um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, stehen nicht nur die Hörsäle leer, auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind aufgefordert, die Experimente in ihren Laboren auszusetzen, dort nicht mehr als einen Notbetrieb aufrechtzuhalten und im Home Office zu arbeiten. Das bleibt nicht ohne Folgen, denn vom Laborbetrieb hängen wissenschaftliche Veröffentlichungen, Drittmitteleinnahmen und berufliche Karrieren ab. Da viele Experimente über längere Zeit kontinuierlich begleitet werden müssten, ist nicht selten die Vorarbeit von Wochen und Monaten gefährdet.

„Eine solche Situation kann aber nicht nur durch eine Pandemie, sondern auch durch politische Instabilität, Kriege oder Naturkatastrophen eintreten“, sagt Matthias Rillig. „Deshalb haben wir uns gefragt, was wir jetzt lernen können, um Krisen in Zukunft besser zu bewältigen.

Gemeinschaft statt Konkurrenz

„Ein Mix aus verbindlichen Routinen und flexiblen Arbeitszeiten hat in Krisenzeiten einen positiven Effekt“, sagt Matthias Rillig

„Ein Mix aus verbindlichen Routinen und flexiblen Arbeitszeiten hat in Krisenzeiten einen positiven Effekt“, sagt Matthias Rillig
Bildquelle: privat

Viele Aspekte der sogenannten Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit eines Labors, ließen sich zwar nicht vorabsteuern – etwa ob noch Internetverbindungen für die Kommunikation verfügbar und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch feste Arbeitsverträge abgesichert seien. Andere Aspekte wie etwa die Teamkultur dagegen schon.

So empfiehlt das Autorenteam um den Biologen an erster Stelle, ein positives Arbeitsklima im Labor zu fördern und eine Gemeinschaft aufzubauen, die in Krisensituationen zusammenhält. Außerdem zahle es sich offensichtlich aus, Wege zur Online-Kommunikation und Fachwissen über Videokonferenzen aufzubauen. Der Austausch mit wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen über soziale Medien wie Twitter erzeuge zudem ein Gemeinschaftsgefühl und ermöglicht einen schnellen Erfahrungsaustausch.

Mehr Flexibilität hätten außerdem Gruppen, deren Mitglieder sich schon im normalen Arbeitsalltag gegenseitig unterstützen, anstatt sich aus Angst vor Konkurrenz untereinander abzuschotten. Dazu gehöre aber auch, so Regel Nummer sieben, jedem Mitglied intellektuelle Freiräume für eigene Ideen und Projekte zu gewähren.

Auch dann, wenn eine Arbeitsgruppe mehrere verschiedene Forschungsansätze verfolge, sei sie besser gegen Krisen gewappnet. „Unsere Forschung beruht zwar zu einem großen Teil auf Experimenten im Labor, im Gewächshaus und auf Beobachtungen in der Natur“, sagt Matthias Rillig. Dennoch habe er rechtzeitig dafür gesorgt, dass parallel an theoretischen Ansätzen wie der Konzeptentwicklung, Modellierung und Analyse von Sekundärdaten gearbeitet werde. Diese Projekte können nun auch ohne Zugang zum Labor fortgeführt werden.

Ebenso habe ein etablierter Mix aus verbindlichen Meetings und Routinen auf der einen und flexiblen Arbeitszeiten auf der anderen Seite in Krisenzeiten einen positiven Effekt. Zwar könne in der Arbeitsgruppe von Matthias Rillig die montägliche Diskussion von neuen Fachartikeln oder der „Daten-Club“ am Donnerstag derzeit nur online stattfinden, aber auch so vermittelten diese Routinen das beruhigende Gefühl von Kontinuität.

Risiken gehören zum täglichen Geschäft

Zu guter Letzt gehöre der Umgang mit Risiken sowieso zum täglichen Geschäft: „Experimente können auch ohne Krisen aus verschiedenen Gründen fehlschlagen“, sagt Matthias Rillig. Daher empfehle es sich von vornherein, risikoarme mit risikoreicheren Projekten zu kombinieren und während eines längeren Experiments schon frühzeitig Daten zu generieren. „Was ohnehin gute Praxis ist, wird sich bei einem katastrophalen Ereignis doppelt auszahlen.“

Viele Labore setzen diese Prinzipien bereits um, davon ist Matthias Rillig überzeugt. „Doch weil diese Aspekte in der gegenwärtigen Situation eine ganz neue Bedeutung erhalten haben, wollten wir sie neu betrachten und würdigen.“ Ein Labor unter solchen Bedingungen am Laufen zu halten, sei schließlich nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine menschliche Frage, weil ein gutes Team den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch persönlichen Halt gebe.

Weitere Informationen

Zum Artikel:

“Ten Simple Rules for Increased Lab Resilience” von Matthias C. Rillig, Milos Bielcik, V. Bala Chaudhary, Leonie Grünfeld, Stefanie Maaß, India Mansour, Masahiro Ryo, Stavros D. Veresoglou

Kontakt:

Prof. Dr. Matthias Rillig,
E-Mail: rillig@zedat.fu-berlin.de, Web: rilliglab.wordpress.com/
Twitter: @mrillig