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„Wenn Muskeln zu Knochen werden“

Die Biochemikerin Nadine Großmann forscht an der Freien Universität an ihrer eigenen seltenen Erkrankung „FOP“, die den Körper fortschreitend verknöchern lässt

16.04.2020

Seit einem Jahr forscht Nadine Großmann an der Freien Universität zur seltenen genetischen Erkrankung FOP.

Seit einem Jahr forscht Nadine Großmann an der Freien Universität zur seltenen genetischen Erkrankung FOP.
Bildquelle: Dennis Yücel

Es gibt Erkrankungen, die sind so selten, dass selbst die meisten Medizinerinnen und Mediziner noch nie davon gehört haben. Eine von ihnen trägt den Namen Fibrodysplasia Ossificans Progressiva, kurz FOP. Nur rund 40 Fälle der genetischen Erkrankung sind in Deutschland bekannt. „Die Erkrankung lässt Knochen an Stellen wachsen, wo sie nicht hingehören“, sagt Nadine Großmann. „Sie lässt Muskeln, Binde- und Stützgewebe fortschreitend verknöchern.“ Für Betroffene ist dies oft mit starken Bewegungseinschränkungen verbunden. „Der Prozess der fortschreitenden Verknöcherung beginnt meist bereits in den ersten Lebensjahren, sodass Schritt für Schritt Knochen im Körper entstehen, die Gelenke blockieren“, sagt Nadine Großmann. Neben der Versteifung der Halswirbelsäule kommt es häufig frühzeitig schon zu einer erheblichen Einsteifung der Schultergelenke und des gesamten Schultergürtels. Am Ende der Pubertät sind häufig alle rumpfnahen großen Gelenke eingesteift, sodass sich die Betroffenen nur noch eingeschränkt fortbewegen können und meist auf fremde Hilfe angewiesen sind.

Nadine Großmann ist Doktorandin am Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität und selbst von FOP betroffen. Seit einem Jahr forscht sie im Labor von Petra Knaus, Professorin für Biochemie, an ihrer eigenen Erkrankung. „In unserer Forschungsgruppe untersuchen wir sogenannte Bone/Body Morphogenetic Proteins – kurz BMPs“, erklärt sie. „Diese Signalproteine spielen in der Entwicklung als Wachstumsfaktoren, die den Knochenaufbau anregen, eine große Rolle.“ Im Umgang des Körpers mit BMPs haben auch die fehlerhaften Knochenbildungen von FOP-Betroffenen ihre Ursache. „An den Zellen sitzen Rezeptoren, die Signale ins Zellinnere weiterleiten“, sagt Nadine Großmann. „Aufgrund eines Fehlers – einem einzigen falschen Buchstaben im genetischen Code – im Gen des ACVR1-Rezeptors (auch ALK2 genannt), welcher zur BMP-Rezeptorfamilie gehört, kommt es zu einer Überaktivierung des Rezeptors, was wiederum zu überschüssiger Knochenneubildung führen kann“, erklärt Großmann.

Die Forschung ist noch in den Kinderschuhen

FOP kann in Schüben, aber auch ohne Schübe mit unterschiedlichem Tempo kontinuierlich auftreten. Diese lassen sich einerseits auf äußere Faktoren zurückführen – insbesondere Muskelverletzungen sind kritisch, etwa durch Stürze, aber auch Impfungen. Doch immer wieder treten bei Betroffenen auch Schübe ohne äußere Einwirkung auf. „Es kommt zu plötzlichen Entzündungen, von denen wir nicht wissen, wie sie entstehen“, sagt Nadine Großmann. Behandlungsmöglichkeiten für diese Erkrankung gebe es noch keine. Daher werde versucht, auftretenden Schübe mit entzündungshemmenden Medikamenten einzudämmen. Durch die Seltenheit des Gendefekts sei das Wissen über FOP nicht sehr weit verbreitet. „Auch Ärztinnen und Ärzte, die die sich mit FOP auskennen, sind selten“, sagt Nadine Großmann. „Der Weg zur richtigen Diagnose kann deswegen mehrere Jahre dauern.“

Nadine Großmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, über ihre Krankheit aufzuklären. Den Hashtag #cureFOP hat sie sich auf den Unterarm tätowieren lassen.

Nadine Großmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, über ihre Krankheit aufzuklären. Den Hashtag #cureFOP hat sie sich auf den Unterarm tätowieren lassen.
Bildquelle: Dennis Yücel

Bei Nadine Großmann traten erst im Alter von 13 Jahren die ersten Symptome auf. Doch selbst nach der Diagnose seien sie und ihre Eltern lange im Dunkeln getappt. Es habe keine Informationen gegeben, wohin sie sich wenden könne, wie sie ihr Leben gestalten könne, um die Erkrankung möglichst gut in den Griff zu bekommen. „Ich habe lange einfach damit gelebt, und gehofft, dass es nicht schlimmer wird“, sagt die Doktorandin. „Aber aufgrund mangelnder Kommunikation unter ärztlichem Fachpersonal ist in der Behandlung dann viel schiefgelaufen.“

Behandlungsfehler wegen fehlender Kenntnisse

Bei Großmann sind hauptsächlich Hüfte, Schulter und Kiefer betroffen. Beim Gehen läuft sie humpelnd vornüber gebeugt, den rechten Arm kann sie nicht höher als ihre Schulter heben. Der Mund lässt sich nach einer Kieferoperation nur noch stark eingeschränkt öffnen. „Heute weiß ich, dass man Operationen unbedingt vermeiden sollte“, sagt Nadine Großmann. „Solche Fehler geschehen, weil FOP so selten und deswegen zu unbekannt ist.“

Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit setzt sich Nadine Großmann daher dafür ein, auf die Krankheit aufmerksam zu machen; Betroffene, Medizin und Wissenschaft untereinander zu vernetzen. Seit 2017 ist sie zweite Vorsitzende des Vereins FOP Germany. Unter dem Hashtag #cureFOP — den sie sich auch auf den Unterarm hat tätowieren lassen — leistet sie Aufklärungsarbeit im Internet.

Regelmäßig nimmt sie an internationalen Konferenzen teil. Auf einer solchen hat sie im Jahr 2017 auf Sardinien auch ihre heutige Promotionsbetreuerin Petra Knaus kennengelernt. Nach einem Praktikum in Knaus’ Labor wurde sie Teil ihrer Forschungsgruppe Signaltransduktion, wo mit Susanne Hildebrandt bereits eine Doktorandin zu FOP forschte. „Für mich war es ein einschneidendes Erlebnis zu sehen, dass es doch eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gibt, die sich mit der Krankheit beschäftigen“, sagt Nadine Großmann. „Es ist nun unser Ziel, dass wir die FOP-Forschung an der Freien Universität noch breiter aufstellen.“

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