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Minimaler Präsenzbetrieb – maximale Forschung rund um das Coronavirus

Die Forschungsaktivitäten auf dem Campus der Freien Universität, deren Gebäude zur Eindämmung der Corona-Pandemie derzeit geschlossen sind, ruhen nahezu – ausgenommen sind Projekte mit „Corona-Relevanz“

29.04.2020

Im Robert-von-Ostertag-Haus auf dem Campus der Veterinärmedizin in Düppel befindet sich das sogenannte S3-Labor, in dem Luftproben von Corona-Patienten kultiviert und untersucht werden.

Im Robert-von-Ostertag-Haus auf dem Campus der Veterinärmedizin in Düppel befindet sich das sogenannte S3-Labor, in dem Luftproben von Corona-Patienten kultiviert und untersucht werden.
Bildquelle: Andrea Schmidt 

Ruhig ist es in diesen Tagen in der Freien Universität, Institute und Labore sind geschlossen. Um die weitere Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, wurde am 20. März ein minimaler Präsenzbetrieb eingerichtet – das betrifft auch die Forschung. Die ist zurzeit auf dem Campus nur erlaubt, wenn sie „Corona-relevant“ ist. Und so kommt es, dass an einigen Instituten genau jetzt unter Hochdruck gearbeitet wird. Campus.leben stellt verschiedene Forschungsprojekte vor.

Am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität herrscht in einigen Instituten Hochbetrieb. Insgesamt drei Arbeitsgruppen beschäftigen sich dort mit Fragestellungen rund um den Erreger SARS-CoV-2, der die Lungenkrankheit COVID-19 auslöst. „Uns interessiert vor allem das Verhalten des Virus in der Umwelt und seine Fähigkeit, durch Tröpfchen in der Luft übertragen zu werden“, sagt Professor Uwe Rösler, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Tier- und Umwelthygiene.

Im Rahmen des Projekts „EKOS“ forschen die Veterinärmedizinerinnen und -mediziner gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Robert-Koch-Instituts und anderer Partner zur Ausbreitung von hochinfektiösen, leichtübertragbaren Krankheitserregern. „Bei diesem Projekt hatten wir zunächst die Ausbreitung hochkontagiöser – also hochansteckender – , sehr gefährlicher Erreger, wie etwa das Ebola-Virus, in deutschen Krankenhäusern in Krisensituationen im Visier“, sagt Rösler.

Nun sei das Forschungsvorhaben quasi von der Realität eingeholt und um SARS-CoV-2-Fragestellungen erweitert worden: Wie kann die sichere infektiologisch-medizinische Versorgung von COVID-19-Patienten in Schwerpunkt-Krankenhäusern gewährleistet werden? Wie müsste ein vorübergehender Isolierbereich in Notaufnahmen und auf Normalstationen aussehen?

Wie gefährlich ist kontaminierte Luft?

Aufschluss darüber soll auch ein weiteres Projekt geben, das in diesen Tagen in Kooperation mit den Krankenhaushygienikern der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität Berlin starten soll: Aus der unmittelbaren Nähe von COVID-19-Patienten sollen Luftproben entnommen werden. Anschließend werden sie in einem Labor der Sicherheitsstufe 3, das im Robert-von-Ostertag-Haus in Düppel erst kürzlich speziell für die Erforschung hochansteckender Erreger ausgerüstet worden ist, kultiviert und untersucht werden. „Wir werden versuchen, infektiöses SARS-CoV-2 aus der Luft zu isolieren, um abschätzen zu können, wie hoch die Gefahr durch kontaminierte Luft tatsächlich ist“, sagt Uwe Rösler. Bislang sei tatsächlich fast ausschließlich genetisches Material in der Luft nachgewiesen worden, das noch infektiöse Virus selbst fast nie.

Eigentlich nicht weiter verwunderlich: „Coronaviren sind sehr austrocknungsempfindlich“, sagt Rösler. Sie würden zwar durch Luft übertragen, aber in Luft könnten sie sich nicht lange halten, da sie schnell austrocknen würden. Bei SARS-CoV-2 gibt es jedoch Hinweise, dass diese Umweltstabilität höher sein könnte. Die Wissenschaftler wollen nun unter anderem klären, in welcher Konzentration die Viren in der Luft in der Umgebung von COVID-Patienten überhaupt vorkommen und wie lange sie sich dort im noch infektiösen Zustand halten können. Dies soll auch durch den Vergleich mit anderen Coronaviren geschehen und mit Hilfe einer speziellen Bioaerosolkammer, in der die Viren in Flüssigkeitströpfchen einer definierten Größe verpackt und in der Luft verteilt werden.

Hinter schweren Tierkrankheiten stecken oft Coronaviren

Während Coronaviren für Menschen bislang eher als harmlose Erkältungskrankheiten auslösende Erreger galten, seien sie in der Tiermedizin schon lange als Auslöser von teils schwerwiegenden Problemen bekannt, sagt Professor Klaus Osterrieder, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Virologie am Fachbereich Veterinärmedizin. Von der infektiösen Bronchitis beim Huhn über die porzine epidemische Diarrhoe – einer hochansteckenden Darmerkrankung bei Schweinen – hin zur Felinen Infektiösen Peritonitis – einer meist tödlich verlaufenden Bauchfellentzündung bei Katzen: Oftmals steckten Coronaviren hinter schweren Tierkrankheiten. „Wir arbeiten schon seit einigen Jahren auf dem Gebiet der Coronaviren“, sagt Osterrieder. „Deshalb sehen wir uns schon in der Lage, in der aktuellen Situation einen Beitrag zur Erforschung des SARS-CoV-2 zu leisten.“

Zum Beispiel in der Impfstoffentwicklung: Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Bern und der Charité soll das Genom des Erregers SARS-CoV-2 kloniert – also gewonnen und identisch vervielfältigt – werden, um es anschließend zu manipulieren. So sollen abgeschwächte Viren entstehen, die – so die Annahme der Wissenschaftler – als universeller Impfstoff gegen den eigentlichen Erreger eingesetzt werden könnten. Solche Lebendimpfstoffe, die aus nicht mehr krankmachenden Keime bestehen, haben in der Regel nicht nur weniger Nebenwirkungen, sondern sind auch wirksamer als sogenannte Totimpfstoffe. Letztere bestehen aus abgetöteten Krankheitserregern, die sich nicht mehr vermehren können.

Mit dem Impfstoff könnten nicht nur Menschen, sondern auch Tiere vor einer Ansteckung geschützt werden. „Dies wäre umso wichtiger, da sich derzeit die Hinweise verdichten, dass das neue Coronavirus vom Menschen auch auf Haustiere übertragen werden kann. Besonders Katzen, Frettchen und Hamster stehen hier im Fokus“, sagt Osterrieder. Aktuell untersuchen die Wissenschaftler dazu Rachen- und Nasentupfer mit Proben, die sie aus Tierarztpraxen und -kliniken erhalten.

„Viele der in den vergangenen zehn Jahren beforschten Aspekte kommen uns jetzt beim klinischen Management von COVID-19-Patienten zugute“

Als Tierpathologe beschäftigt sich Professor Achim Gruber mit Proben anderer Art: In enger Kooperation mit Infektionsmedizinern der Charité – Universitätsmedizin Berlin untersuchen er und sein Team die Ausbreitung und Infektionsmechanismen des SARS-CoV-2-Virus im Gewebe und die daraus resultierenden Veränderungen. Dafür nutzen sie verschiedene versuchstierfreie Modelle, einschließlich menschlicher Lungengewebeproben, die in Kulturen gehalten und mit dem Virus infiziert werden.

„Im betroffenen Gewebe können wir ganz genau unter dem Mikroskop erkennen, welche Zellen tatsächlich mit dem Virus infiziert sind und welcher Schaden angerichtet wurde. Wir jagen das Virus sozusagen in seine Zielzellen und erleben dabei auch Überraschungen in Form von völlig unerwarteten Unterschieden zu früheren Formen der Lungenentzündung“, sagt der Leiter des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität.

Bereits seit 2010 ist Gruber Teilprojektleiter des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs Transregio 84. Darin erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Mechanismen der frühen Immunabwehr in der Lunge in den ersten Stunden und Tagen nach einer Infektion mit Viren oder Bakterien – also lange, bevor Antikörper gebildet werden. „Das ist der entscheidende Zeitraum für den Verlauf einer Lungenentzündung, wie wir auch jetzt wieder bei COVID-19 sehen“, sagt Gruber.

Dem Sonderforschungsbereich gehören mehr als 20 Forscherteams an – unter anderem von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Robert-Koch-Institut. Zum Charité-Team gehört auch Virologieprofessor Christian Drosten, der derzeit als Experte für Coronaviren die Bundesregierung berät. „Viele der hier in den vergangenen zehn Jahren beforschten Aspekte kommen uns jetzt beim klinischen Management von COVID-19-Patienten sehr zugute“, sagt Achim Gruber.

Medikament könnte akuten Lungenschaden bekämpfen

In einem weiteren Corona-relevanten Forschungsprojekt untersuchen Achim Gruber und sein Team gemeinsam mit klinischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Charité den Wirkmechanismus eines Medikaments, das zur Bekämpfung eines akuten Lungenschadens eingesetzt werden könnte. „Die Therapie richtet sich nicht spezifisch gegen SARS-CoV-2, sondern soll den durch das Virus verursachten Schaden im Lungengewebe lindern, der letztendlich zum Tod führen kann“, sagt Gruber. Die Pathologen vergleichen in der Studie behandeltes mit unbehandeltem Gewebe, beschreiben und quantifizieren die Unterschiede und helfen, Wirkmechanismus und mögliche Nebeneffekte zu präzisieren.

 

Ein Virus (blau-grün) bindet sich an die Oberfläche der Wirtszelle (Bild 1). Klassische Wirkstoffe (rot) hemmen diese Wechselwirkung nicht (Bild 2), multivalente Virus-Inhibitoren hingegen (grau) verhindern die Anbindung des Virus (Bild 3).

Ein Virus (blau-grün) bindet sich an die Oberfläche der Wirtszelle (Bild 1). Klassische Wirkstoffe (rot) hemmen diese Wechselwirkung nicht (Bild 2), multivalente Virus-Inhibitoren hingegen (grau) verhindern die Anbindung des Virus (Bild 3).
Bildquelle: Rainer Haag

Bindemoleküle könnten Atemschutzmasken sicherer machen

Mit dem Ansatz, solche Lungenschäden erst gar nicht entstehen zu lassen, indem die Infektion der Zellen von vornherein verhindert wird, beschäftigen sich Chemieprofessor Rainer Haag und sein Team in einem aktuellen Forschungsvorhaben.

Grundlage sind die gerade veröffentlichten Ergebnisse einer Untersuchung des Sonderforschungsbereichs 765, den er leitet: Dort hat man Influenzaviren daran gehindert, sich mit ihren Rezeptoren an die Oberfläche der Wirtszelle zu binden und diese zu infizieren. Dafür wurden sogenannte multivalente Virus-Inhibitoren entwickelt, die mehrfach an die Rezeptoren des Virus binden und somit die Oberfläche der Lungengewebszellen vortäuschen. Die „echte“ Zelle bleibt somit von einer Infektion verschont. Diese Bindungsmoleküle sollen nun auch für die Corona-Forschung getestet werden.

„Die Virusbindung an die Oberfläche der Wirtszellen läuft bei vielen Viren ähnlich ab“, sagt Rainer Haag. Was bei Influenzaviren erfolgreich war, könnte in ähnlicher Weise auch bei Coronaviren funktionieren.

Diese Bindemoleküle könnten Patienten als präventives Mittel verabreicht werden, entweder oral oder systemisch – also in das Blut- oder Lymphsystem. Eine weitere Möglichkeit wäre, sie in den Vliesstoff einer Atemschutzmaske zu integrieren. „Das Material einer herkömmlichen OP-Maske ist ähnlich porös wie ein Kaffeefilter“, sagt Rainer Haag. „Der Faserabstand ist zu groß, daran bleibt kein Virus wirklich hängen“, lediglich große Tröpfchen würden abgefangen, in die Luft könnten Viren dennoch gelangen. Würde ein entsprechender Vliesstoff mit den im Sonderforschungsbereich gefundenen Virusbindern kombiniert werden, könnten die Atemschutzmasken sehr viel sicherer werden.

Protein-Fragmente lösen besonders starke Immunrekation aus

Die zelluläre Immunantwort auf das SARS-CoV-2-Antigen steht im Fokus des aktuellen Forschungsvorhabens von Christian Freund und Team: Der Professor für Proteinbiochemie betreibt an der Freien Universität Grundlagenforschung, die bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das neue Coronavirus besonders hilfreich sein könnte.

„Im Austausch mit vielen anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind wir dabei, die immundominanten SARS-CoV-2-T-Zell-Epitope zu bestimmen“, sagt Freund. Gemeint sind kleine Protein-Fragmente eines Virus, gegen die das Immunsystem eine besonders starke Reaktion auslöst. Das Immunsystem erkennt diese Epitope als „fremd“ und beginnt, sie zu bekämpfen: indem es Killer-T-Zellen oder T-Helfer-Zellen produziert. Viren besitzen in der Regel mehrere Epitope, die eine solche Reaktion der T-Zell-vermittelten adaptiven Immunantwort auslösen können. Die Kenntnis dieser Epitope spielt eine wichtige Rolle bei bestimmten Konzepten der Impfstoffentwicklung.

Zudem ist die genaue Beschaffenheit der Protein-Fragmente, die vom Immunsystem erkannt werden, individuell verschieden und hängt von der genetischen Ausprägung der sogenannten HLA-Proteine – Humane-Leukozyten-Antigene – ab. Dies könnte eine der Erklärungen sein, warum der Krankheitsverlauf vergleichbarer Gruppen von Corona-Infizierten unterschiedlich ist.

„In der Aids-Forschung etwa gibt es das Phänomen der sogenannten Elite Controller: Das sind Infizierte, die das HI-Virus , oft aufgrund ihrer Ausstattung mit bestimmten HLA-Molekülen, besser kontrollieren können als andere, teilweise sogar so gut, dass sie keine Medikamente nehmen müssen“, sagt der Biochemiker. Ob es einen solchen HLA-bedingten Einfluss bezüglich der zellulären Immunantwort auch gegen Sars-CoV-2 gibt, versucht Freund in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen des Universitätsklinikums Magdeburg herauszufinden. Langfristig könnten mit diesem Wissen etwa Risikogruppen definiert oder Therapien entsprechend angepasst werden.