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„Ist liberale, offene Forschung und Wissenschaft möglich in einer illiberalen Gesellschaft?“

14. Dezember, 18.15 Uhr: Online-Vortrag von Harvard-Professor William C. Kirby am Konfuzius-Institut an der Freien Universität

14.12.2020

Blick auf die Peking University.

Blick auf die Peking University.
Bildquelle: picture alliance

Im 19. Jahrhundert war das Berliner Universitäts-Modell prägend für die Gründung von Universitäten weltweit. Im 20. Jahrhundert setzten amerikanische Universitäten internationale Maßstäbe. Gegenwärtig lässt sich die deutlich steigende Bedeutung Chinas in der weltweiten Hochschullandschaft beobachten. Anhand von Fallbeispielen mehrerer Universitäten auf drei Kontinenten – einschließlich der Freien Universität Berlin – zeigt der US-amerikanische Chinawissenschaftler William C. Kirby auf, was potenziell hervorragende Universitäten und Hochschulsysteme kennzeichnet und mit welchen Herausforderungen diese konfrontiert sind.

Der VortragThe Rise of China in the World of Universities in the 21st Century in englischer Sprache, den William C. Kirby am Konfuzius-Institut an diesem Montag, 14. Dezember, um 18.15 Uhr, an der Freien Universität hält, basiert auf seiner demnächst erscheinenden Publikation „The World of Universities in the 21st Century“. Die Veranstaltung findet online über die Plattform Cisco Webex statt, eine Anmeldung ist erforderlich: anmeldung@konfuziusinstitut-berlin.de. Nach der Anmeldung erhalten Interessierte einen Zugangslink und Zuschaltdaten zum Termin.

Herr Professor Kirby, wird das nächste Harvard oder das nächste Oxford in China entstehen? Oder existiert es bereits, und wir wissen nur nichts davon?

William C. Kirby, Professor für Chinastudien an der Harvard University

William C. Kirby, Professor für Chinastudien an der Harvard University
Bildquelle: Russ Campbell

Vor ein paar Jahren hielt der chinesische Staatspräsident Xi Jinping eine Rede, in der er sinngemäß sagte: Wir wollen nicht das nächste Harvard sein, wir wollen die erste Peking-Universität sein. Allein: Es ist nicht klar, was damit eigentlich gemeint ist. Denn alle großen und wichtigen Universitäten verdanken ja ihre Bedeutung dem Umstand, dass sie voneinander lernen und sich Ideen voneinander abgucken.

Eine amerikanische Universität wie Harvard zum Beispiel besteht im Wesentlichen aus der Verbindung eines britischen Undergraduate-Systems mit einer deutschen Doktorandenausbildung. Im Grunde ist es so: Eine Universität wird erst dann wirklich gut, wenn sie das Modell zu kopieren beginnt, das mit der Berliner Universität im 19. Jahrhundert geschaffen wurde: das einer Forschungsuniversität als Ort institutioneller Autonomie, an dem Lehrfreiheit mit Lernfreiheit zusammengeht, wie Wilhelm von Humboldt das genannt hat. In diesem Modell, bei dem Forschung und Lehre eng miteinander verbunden sind, gilt es, nicht Wissen zu vermitteln, sondern Wissen zu schaffen.

Wie wichtig war und ist das preußische Vorbild für chinesische Universitäten?

Auch chinesische Hochschulen haben sich in der Vergangenheit an diesem deutschen Modell orientiert, später dann auch an amerikanischen und sowjetischen Vorbildern. Deshalb sind sie, im Gegensatz zu dem, was Xi Jinping sagt, erstmal nicht einzigartig oder fundamental verschieden von Universitäten anderswo in der Welt.

Was internationale Rankings angeht, muss man bedenken, dass dort als Kriterium fast ausschließlich das Hervorbringen und Veröffentlichen von wissenschaftlichen Ergebnissen berücksichtigt wird. Die Tsinghua-Universität und die Universität Peking sind derzeit in einigen dieser Rankings unter den 20 besten Universitäten weltweit, und es kann gut sein, dass sie bald unter den besten fünf sein werden.

Nur: Diese Stellung haben sie nicht erreicht, weil sie sich isoliert oder einen spezifisch chinesischen Zugang zur Physik oder den Naturwissenschaften gesucht haben, sondern weil sie im Wettstreit der Ideen stehen und aufgrund der Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der ganzen Welt.

Wie wichtig ist die Freiheit der Wissenschaft für akademische Exzellenz? Kann es eine hervorragende Universität geben, in der Lehre und Forschung unfrei oder nur teilweise frei sind?

Wissenschaftsfreiheit ist immer das Fundament einer Universität, und es das Grundprinzip, auf dem auch die chinesischen Universitäten im 20. Jahrhundert gegründet worden sind. Wer an eine chinesische Hochschule geht, wird sehen, dass dort relativ offen und breit debattiert werden kann. Im Laufe der Geschichte war das mal offener, mal weniger, das Niveau an Kontrolle oszilliert über die Zeit.

Aber die Frage, die Sie eigentlich stellen, ist doch diese: Ist liberale, offene Forschung und Wissenschaft möglich in einer illiberalen Gesellschaft? Man könnte sagen: Die deutsche Antwort darauf ist ‚Ja, bis zu einem gewissen Punkt‘. Wenn Sie sich das 19. Jahrhundert in Deutschland ansehen, den Aufstieg der großen Universitäten, dann sehen Sie, dass es innerhalb der Hochschulen eine große Freiheit der Forschung und der Diskussion gab, zugleich gab es offensichtliche Grenzen und Beschränkungen des Diskurses in der Gesellschaft.

Wenn man das mit dem China von heute vergleicht, haben chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Grenzen vielleicht sogar stärker ausgetestet als das im 19. Jahrhundert in Deutschland der Fall war. Aber natürlich besteht da eine fortwährende Spannung.

Die Fragen stellte Pepe Egger

Weitere Informationen

The Rise of China in the World of Universities in the 21st Century

Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. William C. Kirby, Harvard University

Die Veranstaltung findet online über die Plattform Cisco Webex statt, eine Anmeldung ist erforderlich: anmeldung@konfuziusinstitut-berlin.de. Nach Anmeldung erhalten Interessierte einen Zugangslink und Zuschaltdaten zum Termin.

William C. Kirby ist Spangler Family Professor für Business Administration an der Harvard Business School und T. M. Chang Professor für Chinastudien an der Harvard University. Er ist University Distinguished Service Professor der Harvard University, Vorsitzender des Harvard China Fund und Fakultätsvorsitzender des Harvard Center Shanghai. William C. Kirby hält Abschlüsse des Dartmouth College und der Harvard University und erhielt Ehrendoktorwürden der Freien Universität Berlin und der Polytechnischen Universität Hongkong. Er hat sich große Verdienste für die Erforschung der chinesischen Geschichte und der Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen im 20. Jahrhundert erworben und sich maßgeblich für die Internationalisierung der Chinastudien eingesetzt. So hat er zahlreiche Beiträge zur Förderung der wissenschaftlichen Kooperation zwischen deutschen und amerikanischen Chinawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern geleistet und sich insbesondere um die Kooperation zwischen der Harvard University und der Freien Universität Berlin verdient gemacht. Zu William C. Kirbys aktuellen Forschungsprojekten gehören Fallstudien zeitgenössischer chinesischer Unternehmen und die vergleichende Untersuchung der Hochschulausbildung in China, Europa und den Vereinigten Staaten. Ausgewählte Publikationen: The World of Universities in the 21st Century (im Erscheinen), Can China Lead? Reaching the Limits of Power and Growth (2014) und The People's Republic of China at 60 – An International Assessment (2011).