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Zwischen Kinderbetreuung und Publikationsdruck

Während der Lockdowns haben Wissenschaftlerinnen mit Kindern weniger publiziert – an der Freien Universität haben Expertinnen über die Auswirkungen diskutiert

03.03.2023

Geschlossene Kitas, Schulen und Universitäten, stattdessen Kinderbetreuung und digitale Lehre in den eigenen vier Wänden: Eine Podiumsdiskussion nahm den Einfluss von Care-Arbeit während der Pandemie auf wissenschaftliche Karrieren in den Blick.

Geschlossene Kitas, Schulen und Universitäten, stattdessen Kinderbetreuung und digitale Lehre in den eigenen vier Wänden: Eine Podiumsdiskussion nahm den Einfluss von Care-Arbeit während der Pandemie auf wissenschaftliche Karrieren in den Blick.
Bildquelle: CeDiS

Während der Corona-Pandemie ist die Geschlechterungleichheit weltweit gewachsen. Dies ist auch in der Wissenschaft spürbar: Wissenschaftlerinnen haben während des Lockdowns oft weniger publizieren können als ihre männlichen Kollegen. An der Freien Universität diskutierten nun Expertinnen aus vielen Fachbereichen über die „Publikationsbremse Pandemie“. 

Lockdowns während der Corona-Pandemie haben Familien weltweit vor besondere Belastungen gestellt. Geschlossene Kitas und Schulen bedeuteten für viele Eltern Kinderbetreuung und digitalen Unterricht parallel zur eigenen Arbeit im Home-Office. Wissenschaftliche Daten zeigen, dass dabei ein Großteil der zusätzlichen Arbeit, sogenannte Sorge- oder Care-Arbeit, auf Frauen entfiel. Nach einer Studie des World Economic Forum (WEF) hat die Geschlechterungleichheit während der Pandemie weltweit signifikant zugenommen. 

„Dieser Rückschritt ist auch in der Wissenschaft zu verzeichnen“, sagt Corinna Tomberger, zukünftige zentrale Frauenbeauftragte an der Freien Universität und derzeitige Stellvertreterin. „Viele Wissenschaftlerinnen waren in der Pandemie durch zusätzliche Care-Aufgaben in ihrer Arbeit stark eingeschränkt.“ Studien zeigten, dass dabei die Publikationsaktivität von Frauen während der Pandemie im Vergleich zu Männern teils drastisch zurückging. 

Heike Pantelmann (l.) und Verena Blechinger-Talcott (r.) eröffneten vor Beginn der Podiumsdiskussion die Ausstellung „Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen“ im Garderobenfoyer der Rostlaube. Die Ausstellung ist noch bis zum 7. März zu sehen.

Heike Pantelmann (l.) und Verena Blechinger-Talcott (r.) eröffneten vor Beginn der Podiumsdiskussion die Ausstellung „Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen“ im Garderobenfoyer der Rostlaube. Die Ausstellung ist noch bis zum 7. März zu sehen.
Bildquelle: Karin Bauer-Leppin

An der Freien Universität kamen nun zahlreiche Expertinnen zu einer hybriden Podiumsdiskussion über die „Publikationsbremse Pandemie“ zusammen. Auch Verena Blechinger-Talcott, Erste Vizepräsidentin der Freien Universität, war auf dem Podium zu Gast. „Einschlägige Publikationen gehören zu den wichtigsten Qualifikationen für den wissenschaftlichen Nachwuchs“, sagte sie. „Wenn familiäre Mehrbelastung auf Frauen entfällt und sie dadurch weniger publizieren können, dürfen sie deswegen keinen Nachteil erfahren.“ So ermögliche die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes neue Maßnahmen, um Nachteile beispielsweise bei der Publikationsaktivität bei Frauen auszugleichen. Dabei seien an der Freien Universität die „Grundprinzipien Zeit, extra Hände und Mentoring“ wegweisend.

Barbara Fritz, Sprecherin der Kommission zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen an der Freien Universität, betonte, dass die Ungleichheiten während der Pandemie zwar stärker geworden seien, die Probleme jedoch struktureller Natur seien. Dies bestätigte auch Kathrin Zippel, Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Gender Studies an der Freien Universität. „Auf Frauen kommt nicht nur zu Hause, sondern auch in der wissenschaftlichen Arbeit zusätzliche Arbeitsbelastung zu“, sagt sie. So zeigten Studien etwa, dass sich Studierende mit ihren Sorgen und Nöten deutlich häufiger an Professorinnen als an Professoren wendeten. Um strukturellen Ungleichheiten entgegenzuwirken, müssten in Fachbereichen, die einen geringen Frauenanteil haben, wenige Frauen mehr Zeit in verschiedenen Gremien verbringen, was wiederrum Zeit kostet, die sie nicht in Forschung oder in das Publizieren investieren können, erläuterte Kathrin Zippel. „Männern bleibt so mehr Zeit, sich auf ihre Forschungs- und Publikationsarbeit zu konzentrieren“, sagte Kathrin Zippel. „Und Frauen haben bei der Evaluation ihrer Arbeit oft das Nachsehen.“

Es brauche daher Mechanismen, um Nachteile auszugleichen, etwa wenn es um die Berufung neuer Professuren gehe. Bezogen auf die Pandemie müsse es etwa die Möglichkeit geben, sich familiäre Mehrbelastungen anrechnen zu lassen, wie das in den USA bereits möglich sei. Grundsätzlich müsse bei der Bewertung von Publikationen mehr auf Qualität statt auf Quantität geachtet werden.

Sie erwähnte, dass das Präsidium seine Wertschätzung der vermehrten Arbeit für die digitale Lehre in mehreren Emails ausgedrückt habe, sagte aber auch, dass die „Wertschätzung in Worten kam und nicht in Taten.“

Stine Gutjahr, promovierte Geophysikerin und Vertreterin der akademischen Beschäftigten im Akademischen Senat der Freien Universität, sagte, dass das Präsidium seine Wertschätzung der vermehrten Arbeit für die digitale Lehre vermittelt habe. Zudem erwähnte sie die Möglichkeit der Vertragsverlängerung von befristeten Wissenschaftlerinnen – hier habe es dennoch viele Unsicherheiten gegeben. Es wachse unter Wissenschaftlerinnen die Sorge, Publikationsrückstände nicht mehr aufholen zu können. „Es muss es eine faire Anerkennung der Leistungen geben“, sagte Stine Gutjahr. „Frauen müssen selbstbewusst sagen können: Ich bin eine gute Wissenschaftlerin – und ich hatte in der Pandemie eine Zusatzbelastung durch Kinderbetreuung.“

Weitere Informationen

Zu diesem Thema fand auch 2021 eine Podiumsdiskussion statt.