Seit 1998 waren 51 Autorinnen und Autoren aus zahlreichen Ländern zu Gast und im Gespräch mit Studierenden. Hier berichten einige von ihnen, wie beide Seiten davon profitieren.

„Die Studierenden – die Zukunft ist ihnen rätselhaft oder manchmal ist ihnen der Weg schon klar … Wir wollten Klima als literarisches Thema studieren, wussten aber, dass Klima nicht nur in der Literatur geschieht. Als wir Schneestürme bei Tolstoi oder Stifter erlebten, ahnten wir, dass es bald ein Leben ohne Schnee geben würde. Als wir den heißen Sommer mit Duras erlebten, wussten wir, dass die Sommer heißer und heißer werden würden.

Sicher waren die Rollen verteilt und die Generationen unterschiedlich, aber zwei Stunden pro Woche führten unsere Wege zum selben Ort, zum selben Raum – irgendwo im Labyrinth der Universität. Zwei Stunden lang waren wir zusammen, um Texte zu lesen – das heißt, um zu versuchen, die Welt zu verstehen.“

Die französische Autorin Cécile Wajsbrot unterrichtete 2014/15 das Seminar „Climat“.

„Ich bin Schriftsteller und hatte nie zuvor unterrichtet, als ich 2019 an die Freie Universität eingeladen wurde. Mein Ziel war, ein Seminar zu halten, das ich als guten Roman in Erinnerung behalten würde. Ich habe also Melville über den brasilianischen Schriftsteller Euclides da Cunha stolpern und Clarice Lispector auf Georges Bataille treffen lassen. Der Titel des Seminars ,Begehren gegen Identität' war ebenso kontrovers – und die Studierenden reagierten entsprechend.

Es gab Momente, von denen ich nicht weiß, wie ich sie überlebt habe. Bis heute weiß ich nicht, wie ich mich davon erholt habe. Am Ende haben wir wohl alle verstanden – zumindest ich – was es bedeutet, Literatur zu schreiben, zu lesen und zu diskutieren. Ich werde es nie vergessen.“

Der brasilianische Schriftsteller Bernardo Carvalho hatte im Wintersemester 2019/20 die Gastprofessur inne.

„Ich hatte eine wundervolle und fruchtbare Zeit während meiner Gastprofessur. Ich unterrichtete ein Seminar mit dem Titel ,Den Osten übersetzen'. Weil mehr als 50 Studierende kamen, mussten wir einen größeren Raum finden. Obwohl die Studierenden sehr unterschiedliche Sprachen beherrschten und verschiedene Fächer studierten, zeigten alle eine bemerkenswerte Begeisterung für meinen Kurs, und ich habe viel von ihnen über die Literaturen der Welt gelernt. Ein Student zeigte uns in seiner Präsentation indigene Poesie aus mehreren Sprachen. Ein großartiges Beispiel dafür, wie ein Seminar mit dem Titel ,Den Osten übersetzen' bis in alle Ecken der Welt erweitert werden könnte, einschließlich aller Arten von mündlichen und visuellen Übersetzungen.“

Die chinesische Schriftstellerin Xiaolu Guo war Gastprofessorin von Oktober bis März 2022.

„Als Kenzaburo Ôe im Herbst 1999 zu seiner S. Fischer Gastprofessur anreiste, holte ich ihn in Tegel vom Flughafen ab. Ôe hatte im Flugzeug Günter Grass’ ,Ein weites Feld' gelesen und verspürte nun das Bedürfnis, sofort etwas sehr Deutsches zu essen, am liebsten Bratwurst. Also fuhren wir gleich nach Charlottenburg und gingen in die ,Paris Bar'. Als wir in den Ku’damm einbogen, fragte mich Ôe, ob es noch weit sei bis in die Stadt, weil er annahm, soeben aus Tokio eingetroffen, wir befänden uns noch immer in einem sehr ruhigen Vorort.

Seine Zeit in Berlin hat Ôe in dem Roman ,Tagame. Berlin – Tokyo' (2000) fiktionalisiert. In seinem Seminar erzählte er, wie er als Kind im Jahr 1945, zur Kapitulation, zum ersten Mal die Stimme des Kaisers hörte.“

Oliver Lubrich, Professor für Komparatistik an der Universität Bern, hat die Gastprofessur von Anfang an und viele Jahre begleitet.

„Lina Meruanes Seminar war eines meiner Lieblingsseminare überhaupt. Es hat mich sehr inspiriert: akademisch, aber auch für den Alltag.“
Cara Enders, Masterstudentin Angewandte Literaturwissenschaft

„Ich durfte zwei meiner anregendsten Seminare bei Samantha Schweblin und Joshua Cohen besuchen. Sie haben mir andere Lebensrealitäten aus der jüdischen Diaspora, aber auch aus dem Globalen Süden nähergebracht und meinen Horizont erweitert. Vor allem aber haben sie mich zum Schreiben motiviert.“
Sophie, Masterstudentin am Lateinamerika-Institut

„Diese Gastprofessur schafft eine tiefe Verbindung zur Literatur – so wie ich blicken viele Ex-Teilnehmende darauf zurück.“
Edita Aleksanian, Erasmus-Studentin Filmwissenschaft

Veranstaltungen im Jubiläumsjahr 2023

• 4. Mai 2023, 18 Uhr „Hot Metal Frozen Paper”

Öffentliche Antrittsvorlesung der schottischen Schriftstellerin Nancy Campbell, derzeit Samuel-Fischer-Gastprofessorin. Ort: Freie Universität Berlin, Holzlaube, Raum 2.2058, Fabeckstraße 23/25, 14195 Berlin

• 22. Mai 2023, 19.30 Uhr „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“

Buchvorstellung von Samuel-Fischer-Ehrengast Felwine Sarr, Autor, Wissenschaftler und Musiker; Gespräch mit Raphaëlle Efoui-Delplanque, Doktorandin an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien, Freie Universität Berlin. Ort: Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin  

• 20. Juni 2023, 19 Uhr Samuel-Fischer-Gastprofessorin Nancy Campbell im Gespräch mit Florian Werner. Ort: Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße 23, 10719 Berlin