Springe direkt zu Inhalt

Nachdenklichkeit aus den Tiefen der Universität

Die Ausstellung „DUAL USE“ zum ambivalenten Nutzen von Wissenschaft wurde im Henry-Ford-Bau eröffnet und ist noch bis 8. November dort zu sehen

31.10.2023

Unter „Dual Use“ wird in der Wissenschaft die doppelte oder mehrfache Verwendbarkeit von Forschung verstanden.

Unter „Dual Use“ wird in der Wissenschaft die doppelte oder mehrfache Verwendbarkeit von Forschung verstanden.

Wer an Impfstoffen forscht, liefert möglicherweise eine Bauanleitung für Super-Viren. Wer eine Künstliche Intelligenz entwickelt, riskiert, dass diese nicht empathisch und fair entscheidet. Wer die Kernspaltung entdeckt, bereitet auch den Weg für die Atombombe. Wissen hat oft zwei Seiten: Unter „Dual Use“ wird in der Wissenschaft die doppelte oder mehrfache Verwendbarkeit von Forschung verstanden. Das Ziel der Wissenschaften, gesellschaftliche Verhältnisse menschenwürdiger zu machen, kann dabei durch eine missbräuchliche Verwendung von Forschungsergebnissen ins Gegenteil verkehrt werden.

„Dual Use kann jede wissenschaftliche Disziplin betreffen“, sagt Biologieprofessor Jens Rolff. „Sogar die Archäologie“, das habe er bei den Vorbereitungen für die Ausstellung gelernt: So könnten beispielsweise Drohnenaufnahmen, die zur Suche nach archäologischen Funden gemacht wurden, auch zum Ausspähen der Bevölkerung dienen. Gemeinsam mit dem Konfliktforscher und Vizepräsidenten der Freien Universität Prof. Dr. Sven Chojnacki hat er das Dual-Use-Projekt angestoßen, sieben Forschungsbereiche haben sich beteiligt und Themen aus ihren Forschungsfeldern beigesteuert.

Neben Hochschullehr*innen seien auch viele Studierende beteiligt gewesen, berichtet Jens Rolff: „Die Inhalte sind organisch gewachsen, sie sind das Ergebnis eine Graswurzelbewegung.“ Auch die Finanzierung ist eine Kollektivleistung: Viele Forschungsgruppen gaben Geld aus ihren Budgets dazu, ebenso wie die Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin.

Sven Chojnacki betonte bei der Eröffnung, dass nicht nur die Sicht der Wissenschaft, sondern auch die der Kunst in der Ausstellung vertreten sei: Die Videokünstlerin Chan Sook Choi etwa oder der Klang-, Objekt- und Installationskünstler Douglas Henderson brechen mit ihren Beiträgen den rein informativen Charakter der Ausstellung auf. „Wir schauen nicht nur auf Artefakte und Technologie, sondern auch auf die Wissensproduktion selbst“, erläuterte Chojnacki. „Wie wird Wissen hergestellt? Welche Machtasymmetrien oder Diskriminierungsformen werden dabei aufrechterhalten und verstärkt?“

Über Risiken, Missbrauchspotenzial und Gefahren von Forschung reden

“For Knowledge itself is power” – „Denn Wissen selbst ist Macht“, schrieb der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Francis Bacon schon 1598 in seinen „Meditationes sacrae“. Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin, griff das Zitat in seinem Grußwort auf: Die Macht des Wissens und der Wissenschaft könne natürlich auch missbraucht werden. Was also tun – die Forschung unterlassen, um Schaden auszuschließen? Das sei keine Option, erklärte Günter M. Ziegler. „Wir müssen über Risiken, Missbrauchspotenzial und Gefahren reden. Wir müssen Forschung begleiten und Wissenschaftler*innen, aber auch Gesellschaft und Politik für Dual Use sensibilisieren.“ Schon in Lehrveranstaltungen sollen sich künftige Forschende mit Ethik und der Verantwortung für das eigene wissenschaftliche Tun auseinandersetzen. Er freue sich, dass die Ausstellung nun einen wichtigen Beitrag dazu leisten werde.

Als Einladung zum Gespräch versteht Vanessa Schulmann die Ausstellungswände. „Reden Sie mit der Person, die neben Ihnen steht“, ermuntert die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Humanbiologie. „Danach werden Sie vermutlich mehr Fragen als Antworten haben, denn es gibt keine einfachen Antworten.“ Widersprüche müsse man aushalten – zum Beispiel beim Thema DNA-Tests für Endverbraucher*innen. Aus Schulmanns Sicht haben die Erkenntnisse zur eigenen „Herkunft“, die Anbieter dieser Tests versprechen, meist nicht mehr Aussagekraft als ein Horoskop und genetischen Daten seien dort alles andere als sicher. Andererseits kommen auf diese Weise Datenspenden zustande, die der Forschung nutzen können.

Nebenwirkungen richtig einschätzen

Auch die Pharmazieprofessorin Charlotte Kloft kennt das Dilemma: „Arzneistoffe haben nicht nur die erwünschte Wirkung auf Patient*innen, es gibt auch Risiken und Nebenwirkungen. Aber kann man die Risiken immer richtig abschätzen? Das treibt mich um“, berichtet sie. Ein Narkosemittel wie Ketamin werde beispielsweise auch als Droge missbraucht – mit gefährlichen Folgen. Umgekehrt wurde aus dem verheerenden Senfgas, von den Chemikern Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf zur Kriegsführung im Ersten Weltkrieg vorgeschlagen, später der erste Wirkstoff für die Chemo-Therapie gegen Krebs. Diese Beispiele finden sich auf den Ausstellungswänden, die Klofts Forschungsgruppe gemeinsam mit Studierenden der Pharmazie erarbeitet hat.

Lea Paananen, Studentin der Politikwissenschaft im deutsch-französischen Doppel-Bachelor, hat in Philosophiekursen schon darüber diskutiert, wer überhaupt entscheidet, was wünschenswerter technologischer Fortschritt ist. Die Ausstellung knüpfe daran an, sagt sie. „Ich finde es gut, dass sich die Universität auf diese Weise mit dem Thema Dual Use auseinandersetzt. Ich würde aber gern mehr dazu erfahren, wie die künstlerischen Beiträge mit den wissenschaftlichen zusammenhängen.“ Sie möchte die Ausstellung auf jeden Fall ein weiteres Mal besuchen und dort vielleicht – in Gesprächen – zu neuen Erkenntnisse kommen.

Weitere Informationen

Gestaltet wurde die Ausstellung „DUAL USE“ in Zusammenarbeit mit dem externen Kurator Jason M. Benedict, dem Architekturbüro Eichner Bastian Architekten und dem Graphikbüro Studio Laucke Siebein.

Zeit und Ort

  • Die Ausstellung „DUAL USE – Ambivalente Wissenschaft“ ist noch bis 8. November 2023 während der regulären Öffnungszeiten des Henry-Ford-Baus, montags bis freitags von 7.30 Uhr bis 18.00 Uhr sowie zu Sonderöffnungszeiten bei öffentlichen Veranstaltungen zu sehen.
  • Freie Universität Berlin, Henry-Ford-Bau, Garystraße 35, 14195 Berlin

Website

Kontakt