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Die „Vielfalt der Perspektiven“ lernen

Susanne Zepp, Professorin für Romanische Philologie an der Freien Universität Berlin, ist die akademische Koordinatorin der strategischen Partnerschaft mit der Hebrew University

10.08.2017

Susanne Zepp, Professorin für Romanische Philologie, in ihrem Büro in der Rostlaube der Freien Universität.

Susanne Zepp, Professorin für Romanische Philologie, in ihrem Büro in der Rostlaube der Freien Universität.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Ein Beispiel für eine besonders „tiefe und selbsttragende Zusammenarbeit“ zwischen Israel und Deutschland hat der damalige Bundespräsident Joachim Gauck die Zusammenarbeit der Hebrew University of Jerusalem und der Freien Universität Berlin 2015 genannt. Anlass waren die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Die strategische Partnerschaft der zwei Universitäten, die seit 2011 besteht, hat eine Vorgeschichte, deren Wurzeln bis in die 1950er Jahre zurückreichen. Die Romanistikprofessorin Susanne Zepp ist die akademische Koordinatorin dieser außergewöhnlichen Zusammenarbeit.

Es ist eine der lebendigsten Hochschulpartnerschaften, die die Freie Universität unterhält: „Inzwischen arbeiten mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von beiden Universitäten in ganz unterschiedlichen Formen zusammen“, erzählt Susanne Zepp.

Die Romanistin sitzt in ihrem Büro im Institut für Romanische Philologie im zweiten Stock der Rostlaube, inmitten von Bücherstapeln auf allen verfügbaren Ablageflächen – darunter viele Neuerscheinungen von Freunden und Kollegen. Auch die Bilder an den Wänden zeugen von breitgefächerten Interessen: Eine Schwarzweiß-Fotografie etwa zeigt eine elegante Dame: die in Deutschland wenig bekannte Autorin Clarice Lispector, die 1921 – kurz nach ihrer Geburt – mit ihrer Familie vor den Pogromen in der Ukraine nach Brasilien floh, als Kind fast ausschließlich Jiddisch sprach und später eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Brasiliens wurde.

Die Literatur Lateinamerikas und jüdische Literaturen zählen zu Susanne Zepps Schwerpunkten – ebenso wie spanische Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. So unterrichtet sie unter anderem zum Werk von Miguel de Cervantes und anderen Klassikern der spanischen Literaturgeschichte; sie hat aber auch den französischen Publizisten und Dokumentarfilm-Regisseur Claude Lanzmann an die Freie Universität eingeladen und, gemeinsam mit dem Germanisten Professor Jürgen Brokoff, den Liedermacher Wolf Biermann.

Als Universitätspräsident Professor Peter-André Alt ihr das Amt der akademischen Koordinatorin der strategischen Partnerschaft mit der Hebrew University antrug, zögerte sie nicht. Der 2011 an die Freie Universität Berufenen eröffnete sich durch die Aufgabe ein weiteres Betätigungsfeld. Und das Spektrum der Themen, mit denen sich Susanne Zepp beschäftigt, ist seitdem noch ein bisschen breiter geworden. Ihre Aufgabe versteht sie als „Scharnier“ zwischen Wissenschaft und Verwaltung, sie vermittelt und berät bei Anträgen und Aufenthalten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der jeweiligen Partnerhochschule. Hierfür arbeitet sie eng mit dem Center for International Cooperation zusammen, das diese und fünf weitere strategische Partnerschaften der Freien Universität koordiniert und auch Initiativen für neue Kooperationsprojekte unterstützt.

Begegnungen über das Organisatorische hinaus

Dass der Austausch mit den israelischen Kolleginnen und Kollegen nahezu alle Disziplinen umfasst, mache für sie den Reiz des Projekts aus, sagt Susanne Zepp: „Ich habe Berührungspunkte über das rein Organisatorische hinaus mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit denen ich sonst nicht direkt in Kontakt wäre: mit Veterinärmedizinern, Wirtschaftswissenschaftlern und Mathematikern, und mit den Juristen und Sozialwissenschaftlern, die das erste deutsch-israelische Graduiertenkolleg Human Rights under Pressure ins Leben gerufen haben.“

Dabei umfasst die strategische Partnerschaft nicht nur Forschungskooperationen, Nachwuchsförderung, Mitarbeiter- und Studierendenaustausch. Beide Hochschulen arbeiten auch in Fragen der Nachhaltigkeit zusammen: „Es war spannend, mit dem Chefingenieur aufs Dach eines der Universitätsgebäude in Jerusalem zu steigen und zu erfahren, wie dort ressourcenschonend neu gebaut wird.“ Beeindruckend findet sie auch den klugen Umgang der Hebrew University mit Innovationen: Neben der herausragenden wissenschaftlichen Reputation in den Geistes- und Naturwissenschaften unterhält die Universität mit „Yissum“ bereits seit 1964 eine Agentur für Ausgründungen im wissenschaftlichen Bereich.

Kennerin der israelischen Hochschullandschaft

Susanne Zepp kennt Israel, die israelische Kultur und nicht zuletzt die dortige Hochschullandschaft sehr genau, unter anderem durch Forschungsaufenthalte im Land während ihrer Habilitation am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig. Nach ihrer Promotion über den argentinischen Autor Jorge Luis Borges forschte sie an diesem Institut zu jüdischen Erfahrungswelten in romanischen Literaturen im 16. und 17. Jahrhundert. Diese Zeit habe sie sehr geprägt, sagt sie, auch, was die Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten angehe: „Ich habe dort gelernt, wie wichtig es ist, sich so früh wie möglich in seiner Karriere international zu vernetzen. Deshalb stecke ich meine Zeit gerne in die Entwicklung von gemeinsamen Programmen für Promovierende oder Postdoktorandinnen und -doktoranden.“

Internationalisierung des Denkens

Gemeinsame Nachwuchsförderung gehört zu den wichtigsten Zielen der strategischen Partnerschaft zwischen der Hebrew University und der Freien Universität. Susanne Zepp unterstützt den Austausch zwischen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch deshalb, weil er zu jener „Internationalisierung im Denken“ beiträgt, der ihr besonders wichtig ist. Ihr eigenes Fach, die Romanistik, sei ja per definitionem keine Nationalphilologie, sagt sie: der „übernationale Zugriff“ sei dem Fach „in seiner Geschichte eingeschrieben“. Leben und Werk einer Autorin wie das von Clarice Lispector zeigten ohnehin, wie die Literatur selbst die Grenzen des Nationalen unterlaufe.

Potenzial einer Einwanderungsgesellschaft

Die „Vielfalt der Perspektiven“ sei etwas, was man von der Hebrew University lernen könne, sagt Susanne Zepp. Ihr falle das schon an der Vielfalt der Sprachen auf: An einem Tag auf dem Mount Scopus Campus – dem „Gründungcampus“ der 1918 unter anderem auf Initiative von Albert Einstein und Sigmund Freud ins Leben gerufenen Hochschule – sei es ganz normal, dass sie alle Sprachen spreche, die sie beherrsche. Neben dem Deutschen und den drei romanischen Sprachen, deren Literatur sie lehrt, sind das Englisch und Iwrit, Neuhebräisch, die Amtssprache Israels. Und das sei nur ein Bruchteil der Sprachen, die dort gesprochen würden: Die Einwanderergesellschaft Israels berge ein enormes Potenzial, das sich auch an den Universitäten zeige und für sie das besondere Klima der strategischen Partnerhochschule ausmache: „Diese Vielfalt der Perspektiven, das ist es.“

Susanne Zepp freut sich auf die Projekte in den kommenden Jahren, etwa zur Digitalisierung und die vielen größeren und kleinen Kooperationen, die diese Partnerschaft ausmachten. Dass die Freie Universität wiederum in Jerusalem so geschätzt würde, dass man der Institution, an der sie als Wissenschaftlerin und Hochschullehrerin arbeite, inzwischen ein solches Vertrauen entgegenbringe, freue sie sehr, sagt sie. „Manchmal braucht es diesen Blick von außen: Er zeigt für mich immer wieder aufs Neue die Möglichkeiten, die in dieser deutsch-israelischen Kooperation stecken.“