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Vorbeter, Sozialarbeiter, Brückenbauer

Die Islamwissenschaftlerin Anne Schönfeld analysiert die öffentliche Debatte über die Ausbildung von Imamen an deutschen Universitäten

29.05.2013

Im Gespräch mit künftigen Imamen: Anne Schönfeld, hier vor der Şehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln, führt für ihre Dissertation auch Interviews mit Studierenden des neuen Faches Islamische Theologie.

Im Gespräch mit künftigen Imamen: Anne Schönfeld, hier vor der Şehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln, führt für ihre Dissertation auch Interviews mit Studierenden des neuen Faches Islamische Theologie.
Bildquelle: Bianca Schröder

Als Anne Schönfeld sich 2001 für das Studienfach Islamwissenschaft entschied, bekam sie nicht nur interessierte Fragen zu hören, sondern auch „die ein oder andere Polemik“ über archaische Denkweisen, Gewaltbereitschaft und das Patriarchat. Dass sie schließlich in ihrem Studium den Fokus auf die öffentlichen Debatten über den Islam legte, war auch eine Reaktion auf diesen Widerstand, den sie in Gesprächen häufig erfahren hat. An der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies der Freien Universität schreibt die 31-Jährige gerade ihre Doktorarbeit über die Debatten, die die Einführung des Faches Islamische Theologie an deutschen Universitäten seit dem Wintersemester 2010/11 begleiten. 

Eines der Ziele, das die Initiatoren auf politischer Seite mit dem neuen Studiengang verbanden, ist die formalisierte Ausbildung von Imamen: Durch die Eingliederung der Ausbildung in den Fächerkanon deutscher Hochschulen sollen die islamischen Vorbeter mäßigend wirken und so bei der Bekämpfung von Extremismus und bei Integrationsproblemen helfen.

Ebensolche politischen Erwartungen und Zielsetzungen interessieren Anne Schönfeld. Die zentrale Frage ihrer Arbeit lautet daher: Wie geht die Wissenschaft damit um? Die Dissertation hat sie mit dem Titel „Islamspezifische Wissensproduktion zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit: Die Institutionalisierung der Imamausbildung in Deutschland“ überschrieben.

Um als Imam tätig zu sein, ist es traditionell eigentlich nur wichtig, den Gebetsritus zu beherrschen. Nur ein Teil der in Deutschland praktizierenden Imame hat ein theologisches Hochschulstudium absolviert, meistens in der Türkei. Die muslimischen Verbände reagierten zunächst eher verhalten auf die Bemühungen um den Aufbau einer islamischen Theologie an deutschen Universitäten.

„Sie hatten Sorge, dass hier wesentliche Glaubensgrundsätze in Frage gestellt werden. Wenn der Koran historisch-kritisch ausgelegt wird, bringt dies ja eine Hinterfragung tradierten religiösen Wissens, tradierter Praktiken mit sich“, erläutert Schönfeld.

Gleichzeitig hätten die Verbände in dem neuen Studienfach jedoch auch eine lang ersehnte Chance auf gesellschaftliche Anerkennung gesehen.

Für die Imame ist es eine Herausforderung, den vielfältigen Ansprüchen, die Wissenschaft, Politik und ihre eigenen Gemeinden an sie herantragen, gerecht zu werden. Sie sollen sich kritisch mit den religiösen Quellen auseinandersetzen, Extremismus-Prävention in den Gemeinden betreiben und den Kontakt zur nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft pflegen.

„Es ist die Frage, ob die Rolle des Imams nicht überfrachtet wird, wenn er nicht nur die im engeren Sinne religiösen Aufgaben bewältigen muss, sondern auch als Sozialarbeiter agieren und die Moschee nach außen repräsentieren soll“, sagt Schönfeld. Einige Wissenschaftler bezweifeln zudem, dass die Universitäten überhaupt imstande sind, die praktischen Kompetenzen eines Imams etwa im Bereich der Koranrezitation zu vermitteln. Deshalb haben sich einige Hochschulen bereits von den Plänen einer akademischen Imamausbildung distanziert und konzentrieren sich stattdessen auf die theologische Grundlagenforschung.

Die durch die staatlichen Bemühungen um eine Formalisierung der Imamausbildung ausgelöste Dynamik bildet den Ausgangspunkt für Schönfelds Dissertation. Von dort aus nimmt sie das Verhältnis von Islampolitik und Wissensproduktion in Deutschland in den Blick. Dabei interessiert sie auch die Frage, welche Rolle die universitäre Theologie bei der staatlichen Regulierung von Religionen historisch gespielt hat und wie das die aktuelle Debatte um eine islamische Theologie „made in Germany“ beeinflusst.

Dafür führt sie Interviews mit Politikvertretern, Wissenschaftlern und Studierenden, analysiert aber auch die Lehrpläne der Studiengänge, Veröffentlichungen von Behörden und Hochschulen sowie Forenbeiträge und Presseerzeugnisse zum Thema.

Die innermuslimische Diskussion über die Inhalte und die Selbstverortung der neuen Disziplin habe gerade erst begonnen, sagt Schönfeld. Die Meinungen gingen weit auseinander: „Es gibt viele islamische Strömungen und Organisationen in Deutschland. Dementsprechend schwierig ist es, einen Konsens hinsichtlich der Akzeptanz bestimmter Lehrinhalte herzustellen.“ So könne man nur darüber spekulieren, ob viele der in Deutschland tätigen Imame künftig einen Abschluss in Islamischer Theologie haben werden.

Die Studierenden, mit denen sie gesprochen hat, seien jedoch sehr zufrieden mit den Angeboten.

Von einem abschließenden Forschungsfazit ist Anne Schönfeld noch ein Stück entfernt, erst im kommenden Jahr will sie ihre Arbeit einreichen. In Diskussionen ihren Standpunkt zu vertreten, fällt ihr jedoch – anders als zu Beginn ihres Studiums – nicht mehr schwer: Kürzlich referierte sie im Bundestag über die bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Studiengang und forderte die Abgeordneten auf, sich kritisch mit der Rolle des Staates bei seinen „Versuchen der Regulierung von Religion“ auseinanderzusetzen.

Weitere Informationen

Anne Schönfeld, Freie Universität Berlin, Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies, Tel.: (030) 838-57389, E-Mail: schoenfeld@bgsmcs.fu-berlin.de