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Im Ölrausch

Einst als grüne Alternative gepriesen, verändert der großangelegte Anbau von Ölpalmen Brasiliens Landschaft – und die Bedeutung des Nachhaltigkeitsbegriffs.

09.04.2014

Palmöl-Plantage im brasilianischen Bundesstaat Pará.

Palmöl-Plantage im brasilianischen Bundesstaat Pará.
Bildquelle: Maria Backhouse

Es steckt in Schokolade, in Treibstoff, Tütensuppe und Lippenstift: Palmöl. Doch der Anbau der Ölpalme ist in vielen Ländern umstritten. In Brasilien fördert ein großangelegtes Regierungsprogramm seit einigen Jahren den nachhaltigen Anbau. Welche Folgen das für Mensch, Landschaft und Natur hat, untersuchen Wissenschaftler der Freien Universität Berlin.

Es klang fast zu gut um wahr zu sein, was die brasilianische Regierung mithilfe von Ölpalmen alles erledigen wollte: Arbeitsplätze schaffen, Wälder aufforsten und schützen, Kleinbauern unterstützen und die Abhängigkeit von Erdöl verringern. Und doch versprach das „Programm für nachhaltige Produktion von Palmöl“, das Brasiliens damaliger Präsident Luiz Inácio Lula da Silva 2010 auf den Weg brachte, genau das.

Die weltweit wichtigste Ölpflanze sollte dem Land dabei helfen, einige seiner drängenden Probleme zu lösen – zum Vorteil aller Beteiligten. Palmöl ist einer der wichtigsten Rohstoffe der Erde. Etwa 53,3 Millionen Tonnen des Pflanzenöls wurden im vergangenen Jahr weltweit produziert, das meiste davon in Indonesien und Malaysia. Dagegen ist Brasilien mit einer jährlichen Palmölproduktion von etwa einer Million Tonnen bisher nur ein kleines Licht.

Doch das soll sich ändern: Mithilfe eines Förderprogramms will Brasilien zu einem weltweit führenden Palmölproduzenten aufsteigen – und zwar aus nachhaltigem Anbau. Ein Programm mit erheblicher Reichweite. „Die Regierung hat insgesamt 44 zusammenhängende Landkreise als neues Palmölzentrum ausgewiesen“, sagt Maria Backhouse. „Das entspricht etwa der Fläche Kroatiens.“ Die Soziologin am Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität Berlin ist Mitarbeiterin des Projekts „Fair Fuels?“, das die Produktion von Biokraftstoffen in seinen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt untersucht.

Von den Plänen der brasilianischen Regierung ist vor allem Amazonien im Norden des Staates betroffen. Ein Gebiet, das sich über neun Bundesstaaten und damit über mehr als die Hälfte des Landes erstreckt. Laut Programm sollen die Ölpalmen aber nicht den Regenwald entlang des Amazonas’ verdrängen. Sie sollen vor allem auf „degradierten“ Flächen wachsen, also Flächen, deren Bodenqualität als gering eingestuft wird und auf denen kaum noch ursprünglicher Regenwald vorhanden ist.

Die Ölpalme produziert nach etwa drei Jahren erste Früchte. Die Ernte ist meist mühevolle Handarbeit.

Die Ölpalme produziert nach etwa drei Jahren erste Früchte. Die Ernte ist meist mühevolle Handarbeit.
Bildquelle: Maria Backhouse

Für Maria Backhouse ist das eine problematische Beurteilung: „Es gibt keine feste Definition von ‚degradiert‘, das ist reine Auslegungssache.“ Schließlich gebe es in der Region auch wertvollen Sekundärwald. Damit ist der Wald gemeint, der sich nach Eingriffen durch den Menschen, etwa durch Brandrodung, auf natürliche Weise neu entwickelt hat.

Für solche Areale seinen die Palmölplantagen keine ökologische Alternative, sagt Backhouse: „In den Plantagen überleben nur wenige Tiere, die Biodiversität ist nicht mehr gegeben, und der Pestizid-Einsatz gefährdet Flora, Fauna und Trinkwasser.“ Die Verantwortlichen rechtfertigten ihr Vorgehen mit der Botschaft, nur solche Flächen zu nutzen, die ohnehin abgewirtschaftet seien. Eine Argumentation, die Backhouse nicht gelten lassen will: „Sie stellen die Plantagen als geringeres Übel dar.“

Neues Verfahren zur Auswertung von Satellitenaufnahmen sollen Umweltüberwachung verbessern

Tatsächlich ist die Vernichtung der Regenwälder für landwirtschaftliche Nutzflächen eines der großen ungelösten Umweltprobleme in Brasilien. Erst im vergangenen Jahr musste die brasilianische Regierung zur Kenntnis nehmen, dass die Abholzung des Regenwaldes im Amazonasgebiet wieder zugenommen hat. Die Auswertung von Satellitendaten, etwa des brasilianischen Nationalinstituts für Weltraumforschung INPE, zeigten, dass allein im Mai 2013 rund 465 Quadratkilometer Regenwald zerstört worden waren, eine Fläche so groß wie halb Berlin. Im Vorjahreszeitraum waren es dagegen nur 98 Quadratkilometer.

Die Regierung setzt schon länger auf Satellitenbilder, um illegale Abholzungen schneller zu erkennen und dagegen vorzugehen. Um die Methoden dafür weiter zu verbessern, arbeiten Wissenschaftler daran, die Vorteile unterschiedlicher Satellitensysteme zu kombinieren.

Das Satellitenbild zeigt mit potenzielle Rodungsgebiete an der Grenze der brasilianischen Bundesstaaten Rondônia und Amazonas.

Das Satellitenbild zeigt mit potenzielle Rodungsgebiete an der Grenze der brasilianischen Bundesstaaten Rondônia und Amazonas.
Bildquelle: Waske/Hagensieker

Zu ihnen gehört auch Björn Waske, Professor für Fernerkundung und Geoinformationssysteme an der Freien Universität. Für ein solches Vorhaben sei der Blick nach Lateinamerika besonders lohnend, sagt er: „Brasilien ist aus geowissenschaftlicher Sicht interessant, da die Landschaft sehr dynamisch ist. Sie verändert sich ständig durch viele äußere Faktoren.“

Das Projekt zur Fernerkundung des brasilianischen Regenwaldes wird von der Raumfahrt-Agentur des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert. Waske und sein Team wollen Verfahren für die Auswertung des neuen Satellitensystems der Europäischen Weltraumorganisation ESA ,„Sentinel“, entwickeln. Sentinel bedeutet auf Deutsch „Wächter“. Ein passender Name, denn die erste Sentinel-Mission, die 2014 startet, soll vor allem der Umwelt- und Sicherheitsüberwachung dienen.

Für ihr Vorhaben greifen die Wissenschaftler unter anderem auf SAR-Daten des älteren Umweltsatelliten „EnviSat“ der Europäischen Weltraumorganisation ESA zurück. SAR steht für Synthetic Aperture Radar – eine spezielle Radartechnik, die auf Mikrowellen zum Messen von Abständen beruht. Die Wissenschaftler wollen dazu Algorithmen entwickeln, mit deren Hilfe sich die Daten auswerten lassen. Insbesondere soll ein Computerprogramm in Zukunft Aufnahmen, die zu verschiedenen Zeitpunkten gemacht wurden, automatisch miteinander vergleichen. Ziel des Projekts sei es, so eine genauere Methode zur Kartierung von Waldgebieten zu entwickeln, so Ron Hagensieker.

Die Bilddaten, die Björn Waske und Ron Hagensieker verwenden, zeigen die brasilianische Regenwaldregion vor allem als verschiedenfarbige Flächen, die unter anderem durch die Visualisierung unterschiedlicher Aufnahmezeitpunkte zustande kommen. Die Bildpunkte haben eine Kantenlänge von grob 30 Metern und verfügen damit zwar nicht über die hohe Auflösung der Google-Earth-Daten. Doch durch Envisats ASAR-Sensor können die Wissenschaftler in regelmäßigen Zeitintervallen und unabhängig von Wolkenbedeckungen zur Regenzeit eine größere Fläche erfassen.

Mithilfe des Radarsystems, das tief in das dichte Blätterdach der Baumkronen eindringt, kann zudem Primärwald besser von Sekundärwald und Plantagen unterschieden werden. Außerdem lässt sich feststellen, wie sich der Regenwald verändert hat – durch Vergleiche mit früheren Daten. Daneben verwenden die Forscher konventionelle multispektrale Systeme, die die von der Erdoberfläche reflektierte Sonnenstrahlung erfassen. Da diese Systeme neben dem sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums noch zusätzlich den Bereich des nahen Infrarots erfassen können, geben diese Aufnahmen mehr wieder, als das menschliche Auge sehen kann. Dichter, gesunder Wald reflektiert mehr Infrarotstrahlen als eine geschädigte Vegetation.

Auf diese Weise können die Forscher etwa den Zustand des Waldes ablesen. Die Folgen großflächiger Abholzung und Plantagenwirtschaft erkennt man auf den Satellitenbildern der Region bereits ohne ausgefeilte Technik. Wie kleine rechteckige Löcher sind die hellbraunen Flecken ins Dunkelgrün gestanzt und säumen die wenigen Straßen in dem Areal. Manche dieser Flecken sind gerodete Flächen, andere sind Felder.

Kleinbauern in der Gegend von Moju verladen die Palmölfruchtstände.

Kleinbauern in der Gegend von Moju verladen die Palmölfruchtstände.
Bildquelle: Maria Backhouse

Oft solche, auf denen Soja angepflanzt wird. Brasilien ist einer der größten Sojaölproduzenten weltweit. Die Produktion von Soja lohnt sich, denn die Pflanzen können voll verwertet werden: als Futtermittel, als Speiseöl – und als Kraftstoff. Sojaöl dient zur Herstellung von Biodiesel, der dem herkömmlichen Diesel beigemischt wird. „Da sich der Biokraftstoff-Sektor wie im Fall von Soja gut in die bisherigen Agrarstrukturen einfügt, konnte Brasilien innerhalb weniger Jahre zu einem der größten Biodiesel- Produzenten aufsteigen“, sagt Soziologin Maria Backhouse.

Brasilien exportiert seinen Biodiesel jedoch nicht, sondern nutzt ihn als Kraftstoff für den eigenen Markt. Das Ziel: Die eigene Unabhängigkeit bei der Energieversorgung stärken und langfristig den Export von Biokraftstoffen ebenso wie den von Rohöl ausweiten. Dass die brasilianische Regierung den Anbau von Palmölpflanzen fördert, hängt auch damit zusammen, dass man sich bei der Bio-Dieselproduktion nicht weiter von Soja abhängig machen will.

Außerdem ist eine Palmölplantage mindestens zehnmal so ertragreich wie eine Sojaplantage: Ein Hektar Ölpalmen ergibt je nach Anbaumethode bis zu acht Tonnen Palmöl, ein Hektar Soja dagegen nur knapp 0,4 Tonnen Sojaöl. „Die brasilianische Agrarindustrie wittert hier eine lukrative Einnahmequelle“, sagt Maria Backhouse.

Bewegt sich Brasilien mit seinem grünen Energieprojekt in der Grauzone?

Glaubt man also den offiziellen Darstellungen, hat der Ölpalmenanbau viele Vorteile. Ob das Förderprogramm tatsächlich ein nachhaltiges „grünes“ Energieprojekt ist, bezweifelt Maria Backhouse jedoch. Sie fand etwa heraus, dass sich Brasilien mit dem Programm bewusst nur in Grauzonen bewegt: „Palmölplantagen werden ohne die eigentlich notwendigen Umweltlizenzen angelegt, und auch öffentliche Anhörungen finden nicht statt.“ Dabei sei dieses Vorgehen bei solchen Großprojekten vorgeschrieben.

Die wachsenden Plantagen und die immer größeren Mengen Palmöl kämen letztlich nicht der Bevölkerung zugute, sondern Großkonzernen, etwa dem Bergbauunternehmen Vale. 2008 stieg der Konzern in die Produktion von Biodiesel ein, unter anderem für die Versorgung der eigenen Fahrzeugflotte. Zusätzlich schaffe die Regierung Anreize, Bauern aus der Region als „Vertragsbauern“ zu gewinnen, sagt Maria Backhouse.

So gebe es ein spezielles Programm für kleinbäuerliche Betriebe, das eigentlich die Familienlandwirtschaft stärken soll. Doch diese Rechnung gehe für die wenigsten Kleinbauern auf, sagt die Soziologin. Sie müssten hohe Kredite aufnehmen und ihre gesamte Produktion auf eine ihnen unbekannte Monokultur umstellen. Die Risiken, etwa einer Missernte, trügen die Bauern alleine: „Sind die Ölpalmen einmal gepflanzt, kann die Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Der Lebenszyklus einer Palme liegt bei etwa 30 Jahren.“ Wer die harte Arbeit nicht mehr leisten könne oder sich überschulde, müsse sein Land verkaufen.

Palmenplantagen und Viehzucht bedrohen Regenwaldbestände auch in Zukunft

Die Landbevölkerung reagiert unterschiedlich auf die Pläne der Regierung. Maria Backhouse hat im Rahmen ihrer Forschung Bauern vor Ort dazu befragt. Manche sähen darin ihre einzige Chance: „Sie setzen ihre ganze Hoffnung auf den Anbau von Ölpalmen. Bei anderen ist dagegen die Sorge groß, dass die Unternehmen sich die kleinbäuerlichen Landflächen über die Vertragslandwirtschaft aneignen“, berichtet sie.

Die Früchte der Ölpalme sind bis zu sechs Zentimeter lang. Ihr rötliches Fruchtfleisch besteht zu 45 bis 50 Prozent aus Öl.

Die Früchte der Ölpalme sind bis zu sechs Zentimeter lang. Ihr rötliches Fruchtfleisch besteht zu 45 bis 50 Prozent aus Öl.
Bildquelle: Maria Backhouse

Ob alle diese Sorgen berechtigt sind, lässt sich jetzt zwar noch nicht absehen. Allerdings zeichnet sich bereits ab, dass der Palmölanbau die kleinbäuerliche Landwirtschaft weiter verdrängt. Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ erfahre durch das Programm eine problematische Umdeutung, sagt Maria Backhouse, nicht zuletzt durch das Engagement von Unternehmen wie Vale: „Vale hat seine Palmölplantagen zu Wiederaufforstungsprojekten erklärt. Ölpalmen sind zwar gesetzlich nicht zur Wiederaufforstung in Amazonien zulässig, sondern nur heimische Bäume. Doch auch Regierungsbeamte sprechen sich offen für Ausnahmeregelungen für sogenannte degradierte Flächen Amazoniens aus.“

Eine Strategie mit unabsehbaren sozialen und ökologischen Folgen. Dies gilt nicht nur für die neuen Anbaugebiete, sondern auch indirekt für die noch existierenden Regenwälder. Backhouse fürchtet, dass die extrem artenreichen Refugien nun verstärkt für Viehweiden gerodet werden könnten, denen die Ölplantagen keinen Platz mehr lassen. Noch fehle in Europa das Bewusstsein für diese Entwicklungen, denn verglichen mit anderen Großprojekten in Brasilien spiele das Palmöl-Programm nur eine untergeordnete Rolle, sagt Maria Backhouse.

Die Zukunft werde zeigen, ob die Bedeutung der Palmöl-Produktion wachse und ob die Verbraucher die negativen die Folgen akzeptierten oder nicht. Viel Hoffnung hat die Wissenschaftlerin nicht. Zu profitabel sei das Geschäft mit dem „grünen“ Öl. Nur eines scheint bisher sicher: Wenn das Palmöl-Programm der brasilianischen Regierung weitere Fortschritte macht, werden das auch die Geoinformatiker der Freien Universität zu sehen bekommen: als kleine hellbraune Flecken auf Satellitenbildern.  

 

Die Wissenschaftler  

 

Ron Hagensieker

Ron Hagensieker studierte Geographie in Marburg und Tübingen. Seit 2013 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt SenseCarbon. Für SenseCarbon erfasst er mithilfe satellitengestützter Radarund optischer Sensoren die Landnutzung im subtropischen Kontext. Sein Forschungsinteresse liegt in der Entwicklung von Methoden zur automatisierten Generierung von Karten aus Satellitenbildern.

Sein Tipp für die WM: Ganz klar: Kolumbien

Kontakt: Freie Universität Berlin

Fachrichtung Fernerkundung und Geoinformatik

E-Mail: ron.hagensieker@fu-berlin.de


Prof. Dr. Björn Waske

Seit Oktober 2013 ist Björn Waske Professor für Fernerkundung und Geoinformationssysteme an der Freien Universität. In seiner Forschung konzentriert er sich auf multidisziplinäre Ansätze mit einem starken Fokus auf der Überwachung der Landnutzung und des Landnutzungswandels. Seine Forschungsprojekte umfassen unter anderm die Entwicklung von fortschrittlichen Bildverarbeitungstechniken, ein besonderer Schwerpunkt ist die synergetische Nutzung von optischen und SAR-Daten. Die aktuellen Forschungsregionen sind unter anderem Osteuropa und der brasilianische Amazonas.

Sein Tipp für die WM: Ich glaube, dass wir Deutschland im Finale sehen werden.

Kontakt:

Freie Universität Berlin

Fachrichtung Fernerkundung und Geoinformatik

E-Mail: bjoern.waske@fu-berlin.de


Die Wissenschaftlerin

Maria Backhouse

In den vergangenen Jahren hat sich die Soziologin in ihrem Dissertationsprojekt im Rahmen des BMBF-Drittmittelprojekts „Fair Fuels?“ mit der Expansion der Palmölproduktion im brasilianischen Amazonasbecken auseinandergesetzt. Die Brasilien- Expertin interessiert sich für Fragen der politischen Ökologie rings um Ressourcenzugangsrechte und -konflikte. Seit 2013 arbeitet sie am Lehrstuhl Soziologie am Lateinamerika- Institut der Freien Universität.

Ihr Tipp für die WM: „Es wird sich zeigen, dass sich Fußballbegeisterung und Protest nicht ausschließen.

Kontakt:

Freie Universität Berlin

Lateinamerika-Institut

E-Mail: maria.backhouse@fu-berlin.de