Wasser - HALT!
Zwei Geographinnen der Freien Universität untersuchen, wie in einer Provinz im Norden Sri Lankas Wasser gesammelt, gespeichert und verteilt wird.
02.12.2015
Nur 2,5 Prozent des globalen Wasservorkommens sind Süßwasser – und selbst davon kann der Mensch nur weniger als ein Prozent nutzen. Gerade in Gebieten mit Wassermangel sind deshalb bereits vor Jahrtausenden Strategien entwickelt worden, um die Wasserversorgung zu sichern. Weltweit einzigartig ist dabei ein System, das in Sri Lanka genutzt wird. Es wird nun von Forscherinnen und Forschern der Freien Universität Berlin analysiert. Die Erkenntnisse sollen auch zur Sicherung der künftigen Wasserversorgung beitragen.
Die schneeweiße Stupa Ruwanwelisaya, ein buddhistisches Bauwerk in der heiligen Stadt Anuradhapura in Sri Lanka, ist ein architektonisches Meisterwerk.
Die Trockenzeit herrschte im Sommer in Anuradhapura, der Hauptstadt der Nord-Zentralprovinz Sri Lankas. Die Reisfelder wurden auf die kommende Saison vorbereitet, schon im Oktober hatten die Niederschläge deutlich zugenommen – für Brigitta Schütt und Wiebke Bebermeier war der September deshalb der perfekte Zeitraum, um mit ihrer Bohrkampagne zu beginnen. Dreieinhalb Wochen hatten die beiden Forscherinnen hier die Aue des Flusses Malwathu Oya untersucht, in Sedimenten gebohrt und Proben entnommen, um Erkenntnisse über die Dynamik von Erosion und Akkumulation zu gewinnen – und daraus Rückschlüsse über die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt abzuleiten sowie die Entstehung und Veränderung des Wasserverlaufs zu gewinnen.
Ein 2.500 Jahre altes System des Wassersammelns
Anuradhapura ist für die Forscherinnen „ein Glücksfall“, wenn es darum geht, mehr über die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt zu erfahren. Denn das Land hat ein wohl weltweit einzigartiges Bewässerungssystem: Hier wurde vor rund 2500 Jahren im Königreich Anuradhapura mit der gleichnamigen Hauptstadt ein System des Wassersammelns, des Wasserspeicherns und Wasserverteilens entwickelt, das in weiten Teilen des heutigen Sri Lanka bis jetzt praktiziert wird – Nachhaltigkeit im wörtlichen Sinne also. „In Anuradhapura können nicht nur die physikalischen Systeme der Wasserwirtschaft aufgenommen und verstanden werden, auch die traditionellen Governance-Strukturen werden bis heute praktiziert und können somit erfasst werden – unterstützt durch die Analyse von Textquellen, die aus der Zeit des Königreiches von Anuradhapura vorliegen“, sagt Brigitta Schütt.
Wie dieses System so nachhaltig aufgebaut werden konnte und bis heute genutzt wird, wollen Brigitta Schütt, Leiterin der Fachrichtung Physische Geographie und Vizepräsidentin der Freien Universität, und ihre Kollegin Wiebke Bebermeier, Juniorprofessorin in der Fachrichtung Physische Geographie am Institut für Geographische Wissenschaften, mit ihrem Team herausfinden. Auf drei Jahre ist das von der Volkswagenstiftung finanzierte Projekt angelegt, an dem auch Archäologen der University of Peradeniya in Sri Lanka, der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin (HTW) sowie Sozialwissenschaftler der Freien Universität beteiligt sind.
Geschafft: Das deutsch-sri-lankanische Bohrteam nach einer Probebohrung im Rota Wewa, Sri Lanka. (ganz rechts: Brigitta Schütt, 2. v. r.: Wiebke Bebermeier.)
Vorstellen muss man sich die Tanks, die eine Fläche von bis zu 200 Hektar haben, als ein komplexes System kaskadenartig miteinander in Beziehung stehender Talsperren. Wie bei modernen Wassermanagementstrategien wird durch dieses System die Gefahr von Hochwasser und Bodenerosion eingeschränkt und die Wasserqualität kontrolliert, vor allem dient es zur Speicherung des Wassers, das für die Bewässerung des Bodens und vor allem für den Reisanbau benötigt wird. „Diese Talsperren-Kaskaden waren die zentrale Maßnahme der antiken Bewirtschaftung des Einzugsgebiets, denn erst durch die Tanks wurde es überhaupt möglich, Reis in Sri Lanka anzubauen“, erklärt Brigitta Schütt. Und Nahrung sei damals dringend gebraucht worden, denn bis ins 11. Jahrhundert war Anuradhapura die Königstadt Sri Lankas: Das Leben florierte, die Bevölkerung musste versorgt werden. Und so wurde das wohl einzigartige System der Tanks entwickelt.
Traditionelles Wissen geht verloren
Schütt erinnert sich, dass sie „schwer beeindruckt“ gewesen sei, als sie die Tanks nach einem Hinweis durch einen Kollegen von der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin das erste Mal gesehen habe. Und sie hatte schon viele Wassermanagementsysteme gesehen. Im Sudan und im Niger hat sie bereits geforscht, in Syrien und in Italien. Seit 20 Jahren analysiert Brigitta Schütt beispielsweise im andalusischen Vélez Blanco ein von arabischen Einwanderern angelegtes System zur Gewinnung von Oberflächenwasser. Dieses Projekt, an dem sie im Rahmen des Exzellenzclusters Topoi der Freien Universität und der Humboldt Universität forscht, liegt der Wissenschaftlerin besonders am Herzen – auch weil solche traditionellen, nachhaltigen Wassermanagementsysteme immer häufiger in Vergessenheit geraten.
„Durch unsere zunehmende Entfremdung von der Natur und den Einsatz moderner Technik geht vertrautes und traditionelles Wissen verloren“, sagt Brigitta Schütt. Gehe diese Technik aber eines Tages kaputt, breche ein gewohntes System zusammen, weil traditionelle Wissen verloren sei, so Schütt. Brigitta Schütt will im Rahmen ihrer Forschung deshalb dazu beitragen, dass dieses Wissen dokumentiert und bewahrt wird. Dies gilt auch für das Forschungsprojekt zum Bewässerungssystem in Anuradhapura.
„Die Tanks sind noch heute kulturell prägender Teil des Alltagslebens in Anuradhapura“, erläutert Wiebke Bebermeier, die das Sri-Lanka-Projekt federführend betreut. Die Tanks dienten dazu, die Reisfelder zu bewässern, das Vieh zu tränken und Wasser für den Hausgebrauch, beispielsweise zum Kochen, zu gewinnen. Das gesammelte Wasser wird jedoch auch für rituelle Waschungen genutzt, die zur Tradition des Buddhismus gehören, der sich circa 200 vor Christus in Sri Lanka durchsetzte. Dass es die Tanks heute überhaupt noch gebe, sei allerdings nicht selbstverständlich, so Wiebke Bebermeier: „Anuradhapura wurde im 11. Jahrhundert durch Eroberer aus Südindien zerstört, die Stadt geriet dadurch viele Jahrhunderte in Vergessenheit. Mit dem Zerfall der Verwaltungsstrukturen wurden auch die Tanks vermutlich nur noch eingeschränkt unterhalten und gepflegt.“ Doch sei das System so nachhaltig angelegt worden, dass es diese Zeit relativ unbeschadet überstanden habe und im 19. Jahrhundert wieder in Betrieb genommen werden konnte.
Kolonialherren betrachteten die Wassertank mit Skepsis
Wie perfekt damit die Bedingungen der Natur an die Bedürfnisse der Menschen angepasst wurden, habe auch die Briten überzeugt, die sich Sri Lanka 1803 als Kronkolonie aneigneten. Sie hätten die Tanks zunächst skeptisch betrachtet, dann aber die Vorzüge dieser traditionellen Art des Water Harvestings erkannt – und die Instandsetzung vieler Tanks befördert. „Der Anbau von Nassreis wird im semiariden, das heißt halbtrockenen, nördlichen Sri Lanka nur durch Bewässerung möglich. Die Vergrößerung der Stadtfläche Anuradhapuras von 15 Hektar um 900 vor Christus auf 100 Hektar zur Zeitenwende lässt den Schluss zu, dass parallel zum Bevölkerungswachstum eine Intensivierung der agrarischen Nutzung des Hinterlands erforderlich wurde, was nur durch einen parallel erfolgenden stetigen Ausbau des Bewässerungssystems erzielt werden konnte“, erläutert Wiebke Bebermeier. Rund 90 Prozent des benötigten Bewässerungswassers in der Region würden über die Tanks gesichert, die zwischen einem Hektar und 200 Hektar groß seien.
Nicht im allerbesten Zustand: Eine alte Staumauer und Schleuse in einem Wasserreservoir nördlich der Stadt Anuradhapura.
Wiebke Bebermeier kennt das Gebiet gut, bereits sechs Mal ist sie für Geländearbeiten vor Ort gewesen, schon 2010 hat sie zusammen mit Brigitta Schütt eine Bohrkampagne durchgeführt. Dieses Mal konzentrieren sich die Wissenschaftlerinnen auf einen Ausschnitt der Flussaue des Flusses Malwathu Oya mit einer Länge von etwa zehn Kilometern und einer Breite von 250 bis 300 Metern. „Generell sind Flussauen für uns gute Archive, da hier bei Hochwasser Sedimente abgelagert und gespeichert werden “, sagt Wiebke Bebermeier. Dieses Archiv wollen die Forscherinnen nun mithilfe von Bohrungen erschließen. Dabei legen sie Messpunkte an, indem sie vom Rand der Aue bis zum Fluss drei bis vier Bohrungen vornehmen. Die Forscherinnen hoffen, von der Analyse der vier bis fünf Meter mächtigen Sedimente des Flusses Rückschlüsse auf Veränderungen der Sedimentationsdynamik ziehen zu können, die mit der Anlage der Tank-Cascade Systeme einherging, um dadurch nähere Hinweise auf das Alter der Systeme zu erhalten.
Ein bis zwei Bohrungen pro Tag kann das Team vornehmen. Während sich ein Team der Bohrung widmet, ist ein zweites für die Beschreibung und Beprobung der Sedimente zuständig, die später im Labor für Physische Geographie der Freien Universität analysiert werden. Angesichts der Temperaturen um die 35 Grad beginnen die Arbeiten früh, zwischen sieben und acht Uhr. Die Bohrungen müssen zuvor auch mit den Dorfvorstehern abgesprochen werden, bei der Kampagne vor fünf Jahren seien diese allerdings sehr kooperativ gewesen, erinnert sich Wiebke Bebermeier. Auch deshalb, weil die Dorfvorsteher sich selbst neue Erkenntnisse über die Tank-Cascade-Systeme erhoffen, die sie praktisch nutzen können – und die wollen die Forscher der Freien Universität auch liefern.
So kartieren sie neben den Bohrungen auch den geomorphologischen Formenschatz der Umgebung und erstellen eine geomorphologische Karte. „Eine lineare Rinne in der Aue könnte beispielsweise auf die Lage eines verlandeten Flusslaufs hindeuten, kleine Wälle, sogenannte Levées, zeugen von früheren Hochwasserereignissen“, sagt Wiebke Bebermeier. Mit der soziokulturellen und ökonomischen Bedeutung der Tank-Cascade-Systeme im Wandel der Zeit beschäftigen sich die archäologischen Partner von der University of Peradeniya Sri Lanka im Rahmen des Projekts, indem sie gezielt die schriftlichen Quellen der frühen Chroniken Sri Lankas, sowie Inschriften und archäologische Befunde daraufhin auswerten.
Ein kleines Reservoir, Wewa genannt. Angelegt wurde es an der Wasserscheide in einem antiken Steinbruch.
Die heutige Bedeutung der Tanks für die lokale Bevölkerung, die Organisation ihrer Unterhaltung in den dörflichen Strukturen gehören etwa für die Sozialwissenschaftler um Martin Voss von der Katastrophenforschungsstelle der Freien Universität (siehe Artikel "Katastrophe Mensch") wiederum zu zentralen Themen. Sie betrachten das Projekt aus ethnologischer Perspektive und beschäftigen sich auch mit der Frage, wie sich das Management der Tanks verändert, wenn sich soziale Strukturen ändern, beispielsweise, weil immer mehr Menschen in die Hauptstadt Colombo ziehen und dadurch weniger Arbeitskräfte auf dem Land zur Verfügung stehen. Nach einem Kick-off- Workshop Ende September, an dem auch Kooperationspartner des International Water Management Institute (IWMI) in Colombo teilnahmen, werden die Forscher 2016 erneut gemeinsam vor Ort sein und mit Studierenden der Freien Universität und der University of Peradeniya eine Sommerschule zu den Tank-Cascade Systemen durchführen. Diese findet im Rahmen einer vom DAAD geförderten fachbezogenen Hochschulkooperation statt, die das Ziel verfolgt, an der University of Peradeniya einen Masterstudiengang zur Landschaftsarchäologie einzurichten. Jedes Jahr soll ein Doktorand der University of Peradeniya für zwei bis drei Monate nach Berlin kommen, um mit dem Team an der Freien Universität zu arbeiten.
Im Frühjahr 2016 sollen auch erste Erkenntnisse aus der Bohrkampagne vom September vorliegen, für die zweite Kampagne geht es dann nach Polonnaruwa, das ebenfalls in der Nord-Zentralprovinz Sri Lankas liegt und nach der Zerstörung Anuradhpuras neue Hauptstadt wurde. Die Tanksysteme beider Gebiete sollen miteinander verglichen werden, auch unter dem Aspekt des Klimawandels, bei dem Brigitta Schütt zufolge Starkniederschläge weiter zunehmen. „Die Niederschläge während der zwei Monsunphasen werden nicht mehr so vorhersagbar sein wie bisher. Die Frage ist, wie sich dies auf das Management der Tanks auswirken wird“, sagt Wiebke Bebermeier. Die Forscherinnen hoffen, die Ergebnisse des Projekts auf andere Regionen übertragen zu können und somit Impulse für die Beantwortung der Frage geben zu können, wie man in Zukunft nachhaltig mit dem knappen Gut Wasser wirtschaften kann. Bei mehr als zwei Milliarden Menschen, die laut „UN World Water Development Report 2015“ schon heute unter Wassermangel leiden, eine entscheidende Zukunftsfrage. Mit ihrem Projekt in Sri Lanka können die Forscher der Freien Universität zumindest einen kleinen Teil dazu beitragen, dass traditionelle Wissen zum Wassermanagement zu bewahren.
Die Wissenschaftlerinnen
Prof. Dr. Brigitta Schütt
Brigitta Schütt ist Professorin für Physische Geographie an der Freien Universität Berlin und deren Vizepräsidentin. In ihrer Forschung konzentriert sie sich unter anderem auf die Analyse der gegenwärtigen und prähistorischen Mensch-Umwelt- Beziehungen, die Rekonstruktion des Lebensraums früher Kulturen und deren Lebensbedingungen vor Ort. Außerdem forscht Brigitta Schütt, die unter anderem auch Mitglied der Leopoldina Nationalen Akademie der Wissenschaften ist, zur Bodenerosion und dem Einzugsgebiets-Management im Mittelmeerraum, in Nord- und Ostafrika sowie Zentral- und Ostasien.
Kontakt
Präsidium der Freien Universität Berlin
E-Mail: vp4@fu-berlin.de
Institut für Geographische Wissenschaften
Physische Geographie
E-Mail: brigitta.schuett@fu-berlin.de
Jun.-Prof. Dr. Wiebke Bebermeier
Wiebke Bebermeier, die am Geographischen Institut der Georg-August-Universität Göttingen promovierte, ist seit 2011 an der Freien Universität Juniorprofessorin für Physische Geographie mit dem Schwerpunkt Landschaftsarchäologie. Darüber hinaus ist die Geographin Mitglied des Deutschen Arbeitskreises Geomorphologie und der Deutschen Wasserhistorischen Gesellschaft. Als Forscherin ist sie auch beteiligt am Exzellenzcluster „Topoi“ von Freier Universität und Humboldt-Universität zu Berlin sowie am Promotionsprogramm „Landscape Archaeology and Architecture“.
Kontakt
Freie Universität Berlin
Fachbereich Geowissenschaften
Institut für Geographische Wissenschaften
E-Mail: wiebke.bebermeier@fu-berlin.de