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Kommt mit den Tea Parties Bewegung in die amerikanische Politik?

09.12.2010

Kommt mit den Tea Parties Bewegung in die amerikanische Politik?

Kommt mit den Tea Parties Bewegung in die amerikanische Politik?
Bildquelle: Thomas Greven

Nur wenig ist inhaltlich wirklich neu am Tea-Party-Programm, vieles davon ist schon Kernbestandteil Republikanischer Politik.

Nur wenig ist inhaltlich wirklich neu am Tea-Party-Programm, vieles davon ist schon Kernbestandteil Republikanischer Politik.
Bildquelle: Thomas Greven

Eine eventuelle „weiße“ Radikalisierung wäre für die Vereinigten Staaten eine Tragödie.

Eine eventuelle „weiße“ Radikalisierung wäre für die Vereinigten Staaten eine Tragödie.
Bildquelle: Thomas Greven

Ist es wirklich erst zwei Jahre her, dass die Wahl von Barack Obama von vielen Beobachtern – wenigstens außerhalb der USA – euphorisch als Signal für den Einstieg in eine progressive Ära interpretiert wurde, als Ende der Spaltung der USA zwischen den von christlichen Fundamentalisten dominierten Republikanern und den urbanen aufgeklärten Schichten? Die Mehrheit der Abgeordneten der Demokraten im Senat würde den Republikanern nicht einmal mehr die Blockadetaktik des Filibusters erlauben, nun könnten Projekte der Demokraten wie die Gesundheits- und Arbeitsrechtsreform durchgesetzt und die Finanz- und Wirtschaftskrise mit aktiven staatlichen Maßnahmen bekämpft werden – so dachte man 2008.

Mit den Kongresswahlen im November 2010 hat sich die schnell einsetzende große Ernüchterung nun auch in den Machtstrukturen der Vereinigten Staaten niedergeschlagen; zukünftig braucht Obama die Zustimmung der Republikaner, die nun die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben. Mehr noch, die gesellschaftliche Spaltung hat sich verstärkt, und sie hat ein hässliches Gesicht bekommen. Der Protest der sogenannten Tea Parties, die sich überall im Land gebildet haben, hat sicher eine irrationale Komponente; die Vorwürfe gegenüber Obama, kein Amerikaner zu sein, sogar Hitler und/oder Stalin nacheifern zu wollen, haben etwas Hysterisches, ja Realitätsverweigerndes, oft auch Rassistisches.

Das „paranoide“ Element der amerikanischen Politik, vom Historiker Richard Hofstadter bereits 1964 beschrieben, ist mit verschiedenen Ausprägungen wohl als Konstante einer staatsskeptischen, libertären politischen Kultur zu betrachten, die sich über Parteigrenzen hinweg als äußerst verschieden von der etatistischeren europäischen wahrnimmt und auf diese Verschiedenheit des American Exceptionalism auch stolz ist.

Auch Obama kann kein sozialdemokratisches Zeitalter einläuten

Insofern war wohl immer schon klar, dass Obama nur schwer ein „sozialdemokratisches“ Zeitalter hätte einläuten können, selbst wenn er das gewollt hätte – er wollte nicht. Es gab und gibt kein „Demokratisches Projekt“ für einen Paradigmenwechsel hinsichtlich der Rolle des Staates: Die Gesundheitsreform hat nicht mit dem Primat des Privaten gebrochen; die Rettung der Banken war die Fortsetzung der Krisenbewältigung der Regierung Bush – wie zuvor ohne entschlossene Regulierung der krisenverursachenden Branche. Die Arbeitsrechtsreform, die vielleicht die Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital zugunsten der Gewerkschaften hätte verändern können, war schon vor den Zwischenwahlen im November 2010 tot. Und seither ist alles noch schwieriger, auch weil mit den Tea Parties Bewegung in das Zweiparteiensystem der USA gekommen ist. Die Republikaner werden sich noch stärker als bisher jeglicher Kooperation verweigern, aus Angst davor, bei den nächsten Vorwahlen von radikalen Aktivisten herausgefordert zu werden. Oder entsteht vielleicht eine dritte Partei, rechts von den Republikanern? Wofür steht die Tea Party-Bewegung? Was wollen, was können ihre Aktivisten und ihre Amtsträger erreichen? Zwei „kleine“ und zwei „große“ Antworten sind auf diese Fragen möglich:

Amerikaner vermuten schnell die Korruption in der Politik

Erstens, immer wieder sind Außenseiter in Wahlkämpfen erfolgreich, denn die Amerikaner sind seit Langem davon überzeugt, dass die Macht im Allgemeinen und Washington im Besonderen ihre gewählten Politiker schnell korrumpiert. Vermutlich zu Recht, jedenfalls werden die Außenseiter von den Realitäten „inside the beltway“, also innerhalb des Straßenrings um die Hauptstadt Washington, stärker verändert, als sie diese verändern können.

Diese Erfahrung machen die Neuankömmlinge sicher schon, bevor sie ihr Amt überhaupt antreten: Sie absolvieren nämlich eine mehrwöchige Vorbereitung, bei der einige von ihnen womöglich zum ersten Mal verstehen, dass das politische System der USA institutionell auf Verhinderung von Wandel angelegt ist. Man kann sich einige der großspurigen Tea-Party-Kandidaten sehr gut in dem Moment vorstellen, in dem ihnen plötzlich klar wird, dass die Sache wohl doch etwas schwieriger werden wird. Zweitens: Die Selbstreinigungskräfte des amerikanischen politischen Systems sorgen meist dafür, dass völlig unqualifizierte, überforderte Amtsträger schnell wieder ausscheiden. Gerade der zweijährige Wahlrhythmus im Repräsentantenhaus ist darauf angelegt, dass sich der Unmut des Wahlvolks schnell Luft machen kann. Wer wirklich überhaupt nicht geeignet ist, fliegt – jedenfalls meistens. Das tröstet ein wenig über die Ende des Jahres 2010 zu beobachtende Geringschätzung von Intellektualität und Professionalität hinweg, jedenfalls, solange Sarah Palin nicht Kandidatin der Republikaner für die Präsidentenwahl 2012 wird.

Eine 320-Millionen-Dollar-Brücke ins Nirgendwo

Diese Realitäten sollten auch dazu beitragen, einige der radikaleren Forderungen der Tea Party-Vertreter abzuschwächen, wobei das nicht immer gut sein muss: Insbesondere die Kritik an den sogenannten earmarks, mit denen die Abgeordneten und Senatoren ihre Wahlkreise mit aus Steuergeldern finanzierten Projekten bedienen, die nicht immer sinnvoll sein müssen, verdient Unterstützung – ein Beispiel wäre die sprichwörtliche „Brücke ins Nirgendwo“ in Alaska: Der Bau der 320 Millionen-Dollar-Brücke, die eine Insel mit 50 Einwohnern in Alaska mit dem Festland verbinden sollte, wurde allerdings in letzter Sekunde gestoppt.

Drittens: Die beiden großen amerikanischen Parteien werden mit gutem Grund big tents genannt, große Zelte. Sie haben wirkmächtige Minderheitenströmungen immer wieder aufsaugen und integrieren können. Es ist durchaus möglich, dass dies den Republikanern, der Grand Old Party – kurz GOP, sehr schnell gelingt. Wesentliche Teile des Programms der Tea Parties sind ohnehin Kernbestandteil Republikanischer Politik, nur war die fiskalische Verantwortung in den Jahren der Präsidentschaft von George W. Bush völlig vernachlässigt worden. „Defizite spielen keine Rolle“, hieß es in dieser Zeit. Insofern kann die Tea-Party-Bewegung auch als inner-republikanisches Korrektiv verstanden werden, ausgelöst allerdings durch einen Präsidenten der Partei der Demokraten, der durch die Krise ins Amt gekommen war, diese folgerichtig mit aktiver Regierungspolitik zu bekämpfen versuchte und dabei zwangsläufig die ohnehin schon massiven Schulden der USA vergrößern musste. Die fiskalkonservative Position der Republikaner und der Tea Parties ist angesichts der Vorgeschichten wie Steuersenkungen und Krise zwar ebenso heuchlerisch wie der Versuch, ausgerechnet gegen Obama mit traditionellen christlichen Werten zu punkten – doch deren Erfolg verhindert dies bisher nicht.

Auch wenn es, viertens, unwahrscheinlich ist, dass die Tea Parties die Republikaner mit ihren radikal und kompromissunwillig vorgetragenen Forderungen in Geiselhaft nehmen können, werden die Republikaner sich sicherlich unter dem Eindruck dieser Herausforderung und der Wählerdemografie verändern: Angesichts eines farbigen Präsidenten wächst nämlich die Angst vieler Weißer davor, dass ihnen „das Land weggenommen wird“.

Die "Weiße Angst" wird instrumentalisiert

Befeuert wird dies durch einen demografischen Trend, der die Weißen tatsächlich zu einer von vielen Minderheiten im Land machen könnte – was in immer mehr Orten sicht- und fühlbar wird. Diese „weiße Angst“ wird von den Tea Parties und den Republikanern konsequent instrumentalisiert. Damit droht die GOP vollständig zur „Partei der Weißen“ zu werden. Kurzfristig könnte eine zur Interessenvertretung der weißen Amerikaner mutierte Partei der Republikaner stärker als je zuvor von den spezifischen institutionellen Arrangements des Landes profitieren; schließlich geben diese den bevölkerungsarmen – und weiterhin von Weißen dominierten – Staaten im Senat wie bei der Präsidentschaftswahl ein besonderes Gewicht.

Langfristig ist die absehbare, möglicherweise exklusiv „weiße“ Radikalisierung der Republikaner eine Tragödie – und zwar nicht „nur“ für die republikanische Partei, sondern für die Vereinigten Staaten insgesamt. Aber wer sollte die Entwicklung stoppen? Die wirtschaftlichen Eliten, weil sie aufgeklärt sind und weil sie wissen, dass sie von liberaleren Republikanern und Mehrheitsdemokraten nicht die Abschaffung des Kapitalismus zu befürchten haben, sondern schlimmstenfalls einen stärker regulierten? Wohl kaum. Und die Intellektuellen? Dafür muss man nur das Schicksal von David Frum betrachten. Der einstige Redenschreiber von George W. Bush wurde nach seiner Kritik an der reinen Obstruktionspolitik der Republikaner bei der Gesundheitsreform unverzüglich abgestraft.

Populismus, Nativismus, Rassismus und working-class politics

Damit spricht alles dafür, dass die nähere Zukunft der amerikanischen Politik vor allem zu einem Kampf um die weißen Wähler wird. Diese sind für Populismus, und Rassismus ansprechbar sowie anfällig für nativistische Appelle, die darauf zielen, den im Land Geborenen Vorrang vor Einwanderern einzuräumen. Sie sind aber eben durchaus auch offen für eine Politik zugunsten der Arbeiterklasse. Deshalb bleiben angesichts der Schwäche der Obama-Demokraten vermutlich nur die Gewerkschaften, um diese Auseinandersetzung stellvertretend für die Demokratische Partei zu führen. Dies aber führt zurück zur alten Frage, warum die abhängig Beschäftigten in den USA so oft gegen ihre ökonomischen Interessen abstimmen. Eine mögliche, zum Jahreswechsel 2010/2011 aber selten gehörte Antwort ist, dass die Regierung von Barack Obama nicht zu viel an Veränderung versucht hat, sondern im Gegenteil: zu wenig. Eine entschlossen zu Anfang der Amtszeit Obamas durchgesetzte Gesundheitsreform wäre sicher auch bekämpft und dämonisiert worden; sie hätte aber bis zum November 2010 schon zeigen können, was sie wert ist.