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Wenn Forschungsergebnisse zur Waffe werden

Biologie-Professor Jens Rolff und Friedens- und Konfliktforscher David Niebauer über Ambivalenz der Wissenschaft

01.12.2021

Zwischen Nutzen und Schaden: Wie verhalten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu, dass ihre Forschung nicht nur für gesellschaftlich nützliche Ziele verwendet werden könnte?

Zwischen Nutzen und Schaden: Wie verhalten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu, dass ihre Forschung nicht nur für gesellschaftlich nützliche Ziele verwendet werden könnte?
Bildquelle: shutterstock_329644514

Herr Professor Rolff,  Herr Niebauer, Sie mussten nicht in die Ferne schweifen, um Anschauungsmaterial für die Frage nach der Ambivalenz der Wissenschaften zu finden.

ROLFF: Ja, es gibt hier auf unserem Campus in Dahlem eine erstaunliche Dichte an historischer Grundlagenforschung von globaler Bedeutung, die dualen Nutzen hat. Da ist beispielsweise die Kernspaltung, die 1938 von Otto Hahn in Kooperation mit Lise Meitner erstmalig experimentell durchgeführt wurde.

Ein zweites Beispiel ist die Stickstoffchemie von Fritz Haber: Aus ihr wurde der Stickstoffdünger entwickelt, was zu einem enormen Beitrag für die Welternährung geführt hat, und wofür Haber 1918 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Die Kehrseite ist die Anwendung als Sprengstoff. Die Forschung an Habers Institut floss auch in die Herstellung von Giftgasen und Pestiziden ein, die im Holocaust eingesetzt wurden.

Unser Campus hat eine außerordentliche Bedeutung für die Wissenschaftsgeschichte. Ich denke, wir sollten sie nutzen, um davon ausgehend ein Thema zu verhandeln, das heute alle möglichen Forschungsbereiche betrifft.

NIEBAUER: Wir haben für dieses Semester eine Vortragsreihe organisiert, in der es einerseits darum geht, wie wir an diese Entdeckungen und Entwicklungen angemessen erinnern können. Und andererseits darum, zu überlegen, welche Lehren wir für Gegenwart und Zukunft ziehen wollen.

Es sollte für uns, die wir hier arbeiten, Verpflichtung sein zu überlegen, wie wir Forschung ethisch betreiben können und welche Verantwortung wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Gesellschaft gegenüber haben.

David Niebauer forscht am Arbeitsbereich Friedens- und Konfliktforschung und ist Mitglied der AG Dual Use.

David Niebauer forscht am Arbeitsbereich Friedens- und Konfliktforschung und ist Mitglied der AG Dual Use.
Bildquelle: Privat

Wir sprechen hier nicht von fragwürdiger, gefährlicher Forschung, etwa an Waffentechnik, sondern – drei Schritte vorher – von Grundlagenforschung, die dann später zu zerstörerischer Anwendung kommt?

ROLFF: Ja. Ein aktuelles Beispiel: In der ersten Vorlesung der Reihe hat Johannes Fritsch von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina berichtet, wie beim Einsatz von Kampfdrohnen in Schwarmformation auf Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung zurückgegriffen wird, also darüber, wie Vogel- oder Fischschwärme sich bewegen. Niemand in der Verhaltensforschung hat wohl damit gerechnet, dass sie in der Waffentechnik derart angewendet wird.

Nimmt das Phänomen an Bedeutung zu? Sind neue Wissenschaftsbereiche wie Nanotechnologie, Genetik, Künstliche Intelligenz gefährlicher als Forschung zu anderer Zeit?

ROLFF: Es ist heikel zu sagen, dass das Schadenspotenzial von Wissenschaft heutzutage größer ist als früher, wenn man an die Kernforschung und die Atombombe denkt. Aber mir scheint, dass das Bewusstsein unter den Forschenden, dass ihre Forschung auch zweckentfremdet werden könnte, steigt. Es wird stärker darüber diskutiert, welchen dualen Nutzen ein Forschungsbereich haben könnte.

NIEBAUER: Ich denke, dass diese Fragen die Wissenschaft schon immer begleitet haben. Manche unserer Beispiele sind älter, etwa die Stickstoff- oder Kernforschung. Aber es kommen immer wieder neue Wissenschaftsbereiche in den Blick, die sich der Diskussion stellen müssen.

Der Biologe Jens Rolff ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Dual Use“.

Der Biologe Jens Rolff ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Dual Use“.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Gibt es Bereiche aus der Grundlagenforschung, in denen Sie sagen würden: Hier sollte Forschung von vorn herein begrenzt werden?

NIEBAUER: Welche Forschung gar nicht erst umgesetzt werden soll, kann nicht von einzelnen Personen entschieden werden. Das sollte immer Gegenstand und Ergebnis einer wissenschaftsinternen, interdisziplinären Debatte sowie einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion sein.

ROLFF: Auch eine Prognose, welches Wissen gegebenenfalls negativ verwendet werden kann, ist sehr schwierig, wie das Beispiel der Fischschwärme zeigt. Natürlich wird schon länger darüber diskutiert, ob es beispielsweise ethisch vertretbar ist, Viren im Labor gefährlicher zu machen, als sie sind ...

... ein hochaktuelles Beispiel, die sogenannte „Gain of function“-Forschung.

ROLFF: Dahinter steckt die Idee, sich auf den Fall vorzubereiten, dass die Natur das Virus gefährlicher macht. Das ist aber nicht Grundlagenforschung im Sinne der reinen, von Neugier getriebenen Wissenschaft. Bei letzterer, würde ich sagen, gibt es wenige Bereiche, bei denen man im Voraus sagen kann: Das sollten wir nicht machen. Eher geht es darum zu erkennen, welchen Schaden und welchen Nutzen Ergebnisse haben könnten. Um dann Vorkehrungen zutreffen, damit sie nicht destruktiv angewendet werden.

In der Vortragsreihe wird es am 16. Dezember auch ein Gespräch mit dem Virologen Christian Drosten von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der RBB-Wissenschaftsjournalistin Julia Vismann geben.

ROLFF: Dann wird es um Fragen der Wissenschaftskommunikation gehen. Vor allem darum, wie wir mit Open Science und dem Publizieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen etwa auf Pre-Print-Servern umgehen, wenn sich damit – wie sich in der Corona-Pandemie häufig gezeigt hat – das Risiko verbindet, dass Forschungsergebnisse falsch genutzt oder missverstanden werden.

Die Fragen stellte Pepe Egger