Dr. Christiane Klempin: Entwicklung didaktischer Reflexionsfähigkeit und fachdidaktischen Wissens von Englischlehramtsstudierenden im Lehr-Lern-Labor als English Lab
Kurzbeschreibung:
Das Lehr-Lern-Labor Seminar Englisch (LLLSE) stellt eine Adaption des ursprünglich naturwissenschaftlichen LLL-Konzeptes für die Ausbildung angehender Englischlehrender dar (Rehfeldt et al. 2016). Im LLLSE erhalten Englischlehramtsstudierende im Bachelor die Möglichkeit zur Unterrichtserprobung und hoch strukturierten Reflexion ihres Praxishandelns unter unmittelbarer fachdidaktischer Theorieanbindung in einem komplexitätsreduzierten universitären Handlungsrahmen. Das LLLSE folgt hierbei dem Konzeptionsmodell zum zyklischen forschenden Lernen im Zuge von Lehr-Lern-Laboren der Physikdidaktik an der Freien Universität Berlin von Nordmeier (2014, S. 19):
(1) Einführung in fremdsprachendidaktische Theorien
(2) Theoriegeleitete Planung 20-minütiger Sprechförderaktivitäten
(3) Erste Aktivitätenexploration mit Schüler*innen an der Universität
(4) Erste hochstrukturierte Reflexionssitzung
(5) Theoretisch-reflexive Aktivitätenmodifikation
(6) Zweite Praxiserprobung
(7) Zweite hochstrukturierte Reflexionssitzung.
Zur Entwicklung von didaktischer Reflexionskompetenz werden die Praxiserfahrungen in theoretisch modellierten Reflexionssitzungen (4 & 7) nachbearbeitet. Über diese „reflection-on-action“ (Schön 1987, S. 26) erhalten die Studierenden die Möglichkeit, gemäß des “reflective cycle“ von Rodgers (2002) ihre Lehrerfahrungen durch Anbindung an fachdidaktische Theoriebestande (u.a. Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2004; Thaler 2012) nachzubereiten.* Im Anschluss an die erste Reflexion erfolgen theoriegeleitete Überarbeitungen der Aktivitaten (5) für die zweite Erprobung (6).
Das LLLSE wurde gezielt als Intervention zur Stärkung didaktischer Reflexionskompetenz teilnehmender Englischlehramtsstudierender konzipiert, weshalb es vier Mikrointerventionen beinhaltet (Klempin 2019):
(1) Eine Cognitive Apprenticeship (Schädlich 2015)
(2) ein Noticing Training (van Es & Sherin 2002)
(3) hoch strukturiert verlaufende Reflexionssitzungen (Rodgers 2002) sowie
(4) die Ermöglichung einer Erprobung von Unterricht unter Reduktion der Anforderungskomplexität (Klempin et al. 2019).
Im Zuge der Untersuchung der Wirksamkeit des LLLSE wurden die folgenden Forschungshypothesen bearbeitet:
- LLLSE-Teilnehmende erfahren einen statistisch signifikanten höheren Prä-Post-Zuwachs von sowohl didaktischer Reflexionstiefe als auch Reflexionsbreite im Vergleich zu einer Kontroll- (KG) und Parallelgruppe (PG).
- Alle erfassten Kovariablen (Vorwissen zur Reflexion von Unterricht, Praxisvorerfahrung, soziale Erwünschtheit, Persönlichkeitsmerkmale für eine erfolgreiche Reflexion, Schreibfreudigkeit) haben keinen statistischen Einfluss auf die Reflexionstiefen- und Reflexionsbreitenentwicklung aller Untersuchungsgruppen (LLLSE, PG und KG).
- Gemäß theoretischer Vorannahmen ist der statistische Zusammenhang bezüglich des Zuwachses von didaktischer Reflexionstiefe und -breite positiv und mittel bis stark ausgeprägt, sodass von didaktischer Reflexionskompetenz als übergeordnetem Konstrukt ausgegangen werden kann.
Didaktische Reflexionskompetenz wurde in dieser Studie als überaus komplexes Konstrukt, die Dimensionen Reflexionstiefe (Abels 2011) und -breite (Leonhard, Wüst & Helmstädter 2011) umfassend, begriffen. Dementsprechend wurden beide Dimensionen gemäß des Mixed Method-Ansatzes (Kuckartz 2014) in einem quasi-experimentellen Prä-Post-Kontroll**- und Parallelgruppendesign*** zunächst qualitativ mit offenen schriftlichen Diskursvignetten (Rehm & Bolsterli 2014) erfasst und in der Folge inhaltsanalytisch (Kuckartz 2012) ausgewertet. Zusätzlich wurden mittels Paper-Pencil-Fragebogen zu drei Messzeitpunkten (Prä = 1. Seminarsitzung, Inter = nach der 1. Praxis und Post = nach der 2. Praxis) die Studierendenselbstwirksamkeitserwartung**** (Pfitzner-Eden 2015) erfasst, zum Prä- Messzeitpunkt studierendenbezogene Hintergrundvariablen (z.B. Praxisvorerfahrung, Vorwissen zur Reflexion von Unterricht), sozial erwünschtes Antwortverhalten (Stoiber 1999) sowie Persönlichkeitsmerkmale für eine erfolgreiche Reflexion (Satow 2012) sowie zu einem Prä- und Post-Messzeitpunkt die Schreibfreudigkeit der Studierenden (operationalisiert via Zeichenlange der Vignettenschreiberzeugnisse) erhoben.
Zur Ermittlung didaktischer Reflexionstiefe erfolgte zunächst eine induktiv-deduktive qualitative Inhaltsanalyse (Kuckartz 2012) sowie daraufhin die Vignettenzuordnung (Rehm & Bölsterli 2014) zu einem bereits bestehenden, am vorliegenden Datenmaterial weiter adaptierten vierstufigen Reflexionsmodell (Abels 2011). Die Vignettenzuordnung fand im Double-Blind– Verfahren statt (Snodgrass 2006). Gemas Krippendorff (2004: 241) besteht mit der kalkulierten Interkodierreliabilität (α = .92***) ein sehr guter Überlapp über alle erfassten Kohorten hinweg (Sommersemester 2016 – Sommersemester 2018, N = 169). Die Erfassung über ein Stufenmodell ergab letztlich einen Rangscore für alle Vignetten der Experimental- (LLLSE, N = 93), Kontroll- (N = 63) und Parallelgruppe (N = 13), auf dessen Grundlage wiederum statistische Analysen vollzogen werden konnten (MANCOVA und t-tests, Rstudio). An die vorrangig induktive Explizierung von Kategorien aus den Vignetten mittels Qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz 2012) schloss eine größtenteils deduktive Herangehensweise an. Im Zuge derer konnten die herausgelosten Kategorien mit der Modellierung englischdidaktischen Wissens von König und Kolleg*innen (2016) abgeglichen werden, um komplementär zur Entwicklung der Reflexionstiefe auch die Reflexionsbreite über den Aufbau englischdidaktischen Wissens im Vergleich von Experimental- und Kontrollgruppe nachvollziehen zu können. Auch dieser Abgleich erfolgte im Double-Blind-Verfahren (Snodgrass 2006) durch insgesamt drei geschulte Kodierende, wobei jede Kodierschleife durch konsensuell-kommunikative Validierungsschritte abgeschlossen wurden (Kuckartz, 2012, S. 201).
Die inferenzstatistische Analyse mittels MANCOVA der kumulierten Daten ergab, dass alle oben genannten Hypothesen I bis III verifiziert werden können, unabhängig eines Einflusses getesteter Kovariablen (vgl. hierzu ausführlich Klempin 2019). Damit entwickeln LLLSE-Teilnehmende ungeachtet ihrer praktischen Vorerfahrungen, ihrer reflexionsrelevanten Persönlichkeitsmerkmale, sozialer Erwünschtheit und ihrer Schreibinklination nicht nur statistisch bedeutsam häufiger eine multiperspektivische, theoriefundierte Sicht auf Unterricht (ersichtlich am Reflexionstiefenzuwachs), sondern vergrößern auch deutlich ihre englischdidaktischen Wissensbestande (erkenntlich am Reflexionsbreitenzuwachs). Diese Entwicklung erfolgt zugleich im Kontrast zu solchen Englischlehramtsstudierenden, die ein fachdidaktisches Theorieseminar (KG) oder aber ein mit dem LLLSE konzeptionell vergleichbares PG-Seminar – beides Veranstaltungen ohne die eingangs genannten Mikrointerventionen zur Reflexionskompetenzforderung – besuchten. Die Befunde der LLLSE-Studie sprechen demnach auch dafür, dass eine systematisch begleitete theoriebasierte und hoch strukturierte ablaufende Reflexion (Rodgers 2002) selbst erlebter und in seiner Schwierigkeit reduzierter Unterrichtspraxis (Klempin et al. 2019) positiv auf die Reflexionskompetenzentwicklung von Englischlehramtsstudierenden einwirken kann. Zuletzt besteht zwischen Reflexionstiefe und – breite ein mittlerer korrelativer Zusammenhang (r = .51, p < .001), sodass ein weiterer Hinweis dafür vorliegt, dass didaktische Reflexionskompetenz ein übergeordnetes Konstrukt darstellt (Leonhard, Wüst & Helmstädter 2011).
* Eine detaillierte Beschreibung der fachdidaktischen Ausgestaltung und Konzeption des LLLSE findet sich unter: Handreichung zur Lehr-Lern-Gelegenheit. Reflexionsprozesse im Lehr-Lern-Labor Seminar Englisch (LLLSE): https://www.fu-berlin.de/sites/k2teach/news/Handreichung_LLLS_Englisch.pdf.
** Die Kontrollgruppe bestand aus einem inhaltlich vergleichbaren fachdidaktischen Theorieseminar.
*** Die Parallelgruppe bestand aus einem Theorie-Praxis-Seminar, das der Konzeption und dem Ablauf des LLLSE (Rehfeldt et al. 2015) folgte, aber in dem auf die o.g. vier Mikrointerventionen zur Reflexionskompetenzforderung verzichtet wurde.
**** Die Ergebnisse bezüglich der Selbstwirksamkeitserwartungsentwicklung der LLLSE-Studierenden werden an anderer Stelle ausführlich berichtet (Klempin et al. 2019).
Promovendin: Dr. Christiane Klempin, Arbeitsbereich: Didaktik des Englischen (Lehrstuhlinhaberin: Prof. Dr. Michaela Sambanis), Teilprojekt 3: Erprobung von Handlungsstrategien in Lehr-Lern-Laboren (Leitung: Prof. Dr. Volkhard Nordmeier)
Dazugehörige Publikationen (Auswahl)
Doktorandin: Dr. Christiane Klempin Arbeitsbereich: Didaktik des Englischen Teilprojekt: K2teach, Erprobung von Handlungsstrategien in Lehr-Lern-Laboren Erstbetreuerin: Prof. Dr. Michaela SambanisDazugehörige Publikationen:
Klempin, C. (2019). Reflexionskompetenz von Englischlehramtsstudierenden im Lehr-Lern-Labor-Seminar: Eine Interventionsstudie zur Förderung und Messung. J.B. Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05120-2 Klempin, C. (2020). Didaktische Reflexionskompetenz in Tiefe und Breite: Systematische Förderung und Erfassung im Lehr-Lern-Labor Seminar Englisch (LLLSE). Netzwerk fremdsprachliche Lehrer_innenbildung. Forschungs- und Implementierungsprojekte zur Lehrer_innenbildung in den Fremdsprachen. https://fremdsprachlichelehrerbildung.org/didaktische-reflexionskompetenz-in-tiefe-und-breite-systematische-forderung-und-erfassung-im-lehr-lern-labor-seminar-englisch-lllse/ Klempin, C., & Rehfeldt, D. (2020). Promoting and measuring reflective skills in depth and breadth of English and Physics teacher trainees. International Journal of Teaching and Learning in Higher Education, 32(2), 225-239.Literatur
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König, J., Lammerding, S., Nold, G., Rohde, A., Straus, S. & Tachtsoglu, S. (2016). Teachers’ Professional Knowledge for Teaching English as a Foreign Language: Assessing the Outcomes of Teacher Education. Journal of Teacher Education, 1-18.
Klempin, C., Rehfeldt, D., Seibert, D., Bramer, M., Koster, H., Lücke, M., Nordmeier, V., & Sambanis, M. (angenommen, voraussichtlich 2019). Prävention des Praxisschocks über Komplexitätsreduktion:
Das „Lehr-Lern-Labor-Seminar (LLLS)“ als theoriegestützte Praxiserfahrung für angehende Lehrende mit vier fachdidaktischen Schwerpunkten, Unterrichtswissenschaft.
Klempin, C. (2019). Reflexionskompetenz von Englischlehramtsstudierenden im Lehr-Lern-Labor-Seminar. Eine Interventionsstudie zur Forderung und Messung. J.B. Metzler (Dissertation).
Krippendorff, K. (2004). Content Analysis An Introduction to Its Methodology (2. Aufl.). Thousand Oaks: CA Sage Publications.
Kuckartz, U. (2012). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim/Basel: Beltz/Juventa.
Kuckartz, U. (2014). Mixed Methods: Methodologie, Forschungsdesigns und Analyseverfahren. (Bd. 13). Wiesbaden: Springer VS.
Leonhard, T., Wüst, Y., & Helmstädter, S. (2011). Evaluations- und Forschungsbericht Schulpraktische Studien 2008-2010. Heidelberg: Pädagogische Hochschule Heidelberg.
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Pfitzner-Eden, F. (2015). Evaluation of a teacher preparation program using the development of teacher self-efficacy as an outcome – a longitudinal study (Dissertation).
Rehfeldt, D., Seibert, D., Klempin, C., Mehrtens, T. & Nordmeier, V. (2016). Fächerübergreifende Wirkungen von Lehr-Lern-Labor-Seminaren: Adaption für die Fächergruppen Englisch, Geschichte und Sachunterricht.
S. Bernholt (Hrsg.), Implementation fachdidaktischer Innovation im Spiegel von Forschung und Praxis: Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik. Kiel.
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