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Das queerhistoryLab. - ein Lehr-Lern-Labor-Seminar zur Geschlechter- und Sexualitätsgeschichte

Studierende lauscht den Gedanken der Schüler*innen

Studierende lauscht den Gedanken der Schüler*innen
Bildquelle: Annekatrin Lietz

"Dieses Seminar, insbesondere der Unterrichtsbesuch, haben meinen Willen gestärkt Lehrer zu werden. Es hat viel Spaß gemacht. Heute haben wir ja in Kleingruppen gearbeitet, wo es mehr ins Gewicht fällt, wenn einer nicht motiviert ist. Ich freue mich schon darauf in der großen Klasse zu arbeiten, herauszufinden wie da die Grundmotivation ist und alle Schülerinnen und Schüler zu motivieren

Trotz vieler positiver Entwicklungen im Bereich Gender und Diversität, fehlen gerade in der Ausbildung von angehenden Lehrpersonen in den Fachdidaktiken die allgemeinen Voraussetzungen zur Entwicklung eines professionellen Umgangs mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Schule ist kein geschlechtsneutraler Raum. Über viele Inhalte schulischer Curricula und Lehrmaterialien sowie Lehrmethoden oder aber in Interaktionen werden hierarchische Strukturen und binäre Geschlechtervorstellungen reproduziert. Das kann zu weitreichenden Diskriminierungen im Schulalltag führen. Nach unseren demokratischen Grundsätzen haben alle Menschen, unabhängig ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung, aufgrund von körperlichen oder geistigen Einschränkungen, ihres Alters, ihrer sexuellen Orientierung oder sexuellen Identität dieselben Rechte. Als zentrale Bildungsinstitution unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung sollte die Schule diese Grundsätze fokussieren und zu einem reflektierten Umgang mit Ungleichheiten, geschlechtsspezifischen Zuweisungen und Hierarchisierungen beitragen.


Unterricht auf Augenhöhe - Studierende lernen zu erklären

Unterricht auf Augenhöhe - Studierende lernen zu erklären
Bildquelle: Annekatrin Lietz

Im queerhistoryLab. wird nun der Fokus auf die aktive Auseinandersetzung mit und Förderung von gendersensiblen Kompetenzen der Lehramtsstudierenden gelegt. Den angehenden Lehrer*innen soll so ermöglicht werden, ihre Schüler*innen dazu zu befähigen und sie dafür zu ermutigen, Geschlechterverhältnisse zu erkennen, zu analysieren und zu reflektieren. Im Geschichtsunterricht soll insbesondere die Historizität und historische Alterität von Geschlecht und Geschlechterkonstruktionen herausgearbeitet werden. Historizität bedeutet dabei so viel wie „Geschichtlichkeit“ also das Bewusstsein dafür, dass etwas in einer bestimmten Zeit und den jeweiligen Kontexten entstanden ist, bzw. aus einer bestimmten Zeit stammt. Historische Alterität von Geschlecht bezieht sich auf die kulturelle Verschiedenartigkeit und Wandelbarkeit der Kategorie „Geschlecht“ im Gang durch die Zeit.  Dabei orientiert sich das Seminar an den Rahmenplänen des Berliner Senats für die Schulen sowie an den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz zur Sicherung der Chancengleichheit durch geschlechtersensible schulische Bildung und Erziehung.

Als Vorbereitung auf den Schüler*innenbesuch werden fachdidaktische Theorien und vor allem genderbezogene Theorien diskutiert, damit die Studierenden anschließend einen eigenen Schwerpunkt wählen und hierzu einen Unterrichtsverlaufsplan mit eigenen Materialien entwerfen können. Als Orientierungshilfe und Unterstützung steht die Onlineplattform queerhistory zur Verfügung.

Methode ‚Chronologiekarten‘ zur Darstellung des historischen Spannungsverhältnis‘ von Geschlecht und Sexualität

Methode ‚Chronologiekarten‘ zur Darstellung des historischen Spannungsverhältnis‘ von Geschlecht und Sexualität
Bildquelle: Annekatrin Lietz

Während des ersten Labortermins erproben die Studierenden in Gruppen ihre Unterrichtsentwürfe. Der Unterricht findet in der Universität mit Kleingruppen von Schüler*innen aus der neunten oder zehnten Jahrgangsstufe statt. Anschließend steht die gegenseitige Reflexion und das Feedback im Vordergrund, woraufhin der Unterrichtsentwurf überarbeitet wird und die Studierenden ihre Änderungen an den Entwürfen während des zweiten Schüler*innenbesuchs erneut ausprobieren können. Ein Studierender des queerhistoryLab. berichtet über seine Unterrichtserfahrung:

„Vorher haben wir uns Horrorszenarien ausgemalt, was alles schief gehen kann, aber am Schluss lief es wirklich gut und wir hatten wirklich Spaß. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass Schülerinnen und Schüler so ruhig sein können, aber sie waren konzentriert und haben mitgemacht. Besonders die gezielte Kleingruppenarbeit hat mir gut gefallen.“

Monitoring der Antworten der Schüler*innen

Monitoring der Antworten der Schüler*innen
Bildquelle: Annekatrin Lietz

Lehr-Lern-Labor-Seminare (LLLS) existieren an der Freien Universität seit 2014. In der ersten Förderphase von K2teach wurde dieses Seminarkonzept aus der Physikdidaktik auf andere Fachdidaktiken übertragen und erforscht. Ziel für die zweite Förderphase ist nun die Ausweitung der Konzepte auf neue Themen und Fächer sowie die Verstetigung der bereits bestehenden Formate. Das queerhistoryLab. entstand in der zweiten Förderphase und ist somit ein Beispiel für die Behandlung und Erforschung von neuen Inhalten, die gleichzeitig durch den Praxisbezug für die Schule „nutzbar“ gemacht werden können. Diese Theorie-Praxis-verzahnenden Formate (LLLS) zur Ausbildung von Lehramtsstudierenden wurden in vielen Fachdidaktiken entwickelt und empirisch auf ihre Wirksamkeit hin untersucht (z.B. Geschichtsdidaktik, Didaktik des Sachunterrichts, Physik- und Englischdidaktik).

Für die Didaktik der Geschichte konnte belegt werden, dass Teilnehmer*innen dieser Lehr-Lern-Labor-Seminare das fachdidaktische Wissen als praxisrelevanter wahrnehmen als Studierende aus reinen Theorieseminaren (vgl. Seibert, 2019: Theoretisches Wissen gleich träges Wissen? Praxisrelevanz von fachdidaktischem Wissen in Lehr-Lern-Labor-Seminaren). Außerdem konnte bewiesen werden, dass sich Teilnehmende eines LLLS im Vergleich zu Teilnehmenden eines klassischen Theorieseminars nach den Praxisterminen deutlich stärker zutrauen, z.B. im Geschichtsunterricht (aber auch in Englisch, der Grundschule und in Physik), wirksam pädagogisch handeln zu können (Klempin et al., 2019: Stabilisierung der Selbstwirksamkeitserwartung über Komplexitätsreduktion). Erste Rückmeldungen von Studierenden zeigen die gleiche Tendenz für das queerhistoryLab. besonders bezogen auf die Theorie-Praxis Verzahnung sowie das Schaffen eines Bewusstseins für Geschlechtergeschichte:

Unterrichten und Praxis in komplexitätsreduzierter Form

Unterrichten und Praxis in komplexitätsreduzierter Form
Bildquelle: Annekatrin Lietz

„Erst durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema habe ich mitbekommen wie vielschichtig und vielseitig Geschlechtergeschichte eigentlich ist. Zu einigen Themen wie z.B. Inzest in Adelsfamilien hatten die Schülerinnen und Schüler viel Vorwissen, was mich positiv überrascht hat. Bei anderen Themen wiederum hatten sie große Lücken, die wir erstmal schließen mussten.“

„Für das nächste Mal möchte ich vorher mehr herausfinden welche Grundlagen die Schülerinnen und Schüler haben, da wir sie momentan an manchen Stellen überfordert haben. Obwohl sie ein geringes Wissen über Geschlechtergeschichte hatten, haben sie gut mitgemacht und viel Neues gelernt. Mir hat der Tag auch gezeigt, wie wichtig es ist für die Schüler*innen ein Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen.“

Somit kann das queerhistoryLab. nicht nur helfen, Studierenden erste Praxiserfahrungen zu vermitteln, sondern gleichzeitig auch aufzuzeigen, wie gesellschaftlich relevante Themen und neue Forschungsergebnisse aus den Gender- und Queer Studies stärker in die universitäre Lehramtsausbildung integriert und von zukünftigen Geschichtslehrer*innen für den eigenen Unterricht genutzt werden könnten. Dieses geschieht hier exemplarisch, indem gezeigt wird, dass Geschlecht und Sexualität keine festen Kategorien sind, sondern sich diese historisch schon immer im Wandel befanden und sich weiterhin verändern. Wenn nun das Wissen um den geschichtlichen und kulturellen Wandel von Geschlechtswahrnehmungen bei angehenden Geschichtslehrer*innen ankommt und dann eine Sensibilisierung der Studierenden bewirkt, dann besteht Grund zur Hoffnung, dass in der Schule der Zukunft gendersensibel handelnde Lehrpersonen Schritt für Schritt zu einer toleranteren Schule beitragen.

 

Das queerhistoryLab. wurde entwickelt von David Gasparjan. Das queerhistoryLab. im Vorlesungsverzeichnis: https://www.fu-berlin.de/vv/de/lv/541315?query=gasparjan&sm=498562

David Gasparjan steht Ihnen bei Fragen und Interesse zur Teilnahme mit einer Schulklasse am queerhistoryLab. jederzeit zur Verfügung: d.gasparjan@fu-berlin.de

In der oben bereits erwähnten Toolbox finden Sie einen Artikel mit näheren Informationen wie dem Aufbau des Lehr-Lern-Labor-Seminars, weiteren Literaturempfehlungen und der Verankerung von Gender im Hochschulvertrag der Freien Universität Berlin von 2018-2022.