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"K2teach verändert die Lehrkräftebildung an der Freien Universität langfristig"

Im Gespräch mit der Teilprojektleitung und der Teilprojektkoordination des Teams Videobasierte Lerngelegenheiten

09.01.2018

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Im Sommer 2017 wurde das FOCUS Videoportal erstmal online geschaltet, das den Erwerb von Kompetenzen der professionellen Wahrnehmung und Entscheidung durch videofallbasiertes Lernen fördern soll, indem die Lehramtsstudent*innen lernen, die wichtigsten Merkmale einer Situation schnell zu erfassen und mögliche Handlungsstrategien zu identifizieren und zu antizipieren. K2teach traf sich "auf einen Kaffee" mit Prof. Dr. Felicitas Thiel und          Dr. Victoria L. Barth und sprach mit ihnen über die Möglichkeiten und Herausforderungen des videofallbasierten Lernens in der Lehrkräftebildung.



Sie forschen und lehren am Arbeitsbereich Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung. Könnten Sie sich und Ihre Forschungsschwerpunkte kurz beschreiben?

Thiel: Mein Name ist Felicitas Thiel, ich leite den Arbeitsbereich Schulpädagogik und Schulentwicklungsforschung an der Freien Universität Berlin. In meinem Arbeitsbereich forschen wir zu zwei großen Themen: Schulorganisation und Unterrichtsinteraktion. Im Rahmen von K2teach beschäftigen wir uns vornehmlich mit der Unterrichtsinteraktion und damit, wie diese gut gelingen kann und wie wir angehende Lehrkräfte beim Erwerb dieser Kompetenzen unterstützen können. Bisherige Studien konnten bereits zeigen, dass das videofallbasierte Lernen hierfür einen großen Mehrwert darstellt. Im Teilprojekt 2, das ich leite, entwickeln wir daher prototypisch vier videobasierte Lehr-Lerngelegenheiten zur Förderung spezifischer Kompetenzen sowie ein Videoportal für die Lehrkräftebildung.

Barth: Mein Name ist Victoria Barth und ich bin Koordinatorin des Teilprojekts 2. Zwei zentrale Aufgaben wurden mir anvertraut: zum einen die Koordination der am Projekt beteiligten Arbeitsgruppen und ihrer Forschung. Neben der Erziehungswissenschaft, die wir vertreten, kooperieren wir mit der Politikdidaktik, der Didaktik der Biologie und der allgemeinen Grundschulpädagogik. Und zum anderen arbeiten wir intensiv an der Konzeption und am Aufbau des FOCUS Videoportals, das verschiedene Materialien zur Unterstützung des videofallbasierten Lernens und der Unterrichtsanalyse bereitstellt.

 

Was versteht man unter videofallbasiertem Lernen in der Lehrkräftebildung und inwiefern ermöglichen Videos einen neuen Blick auf Unterrichtssituationen?

Barth: Videofallbasiertes Lernen bedeutet, dass typische Situationen, die angehende Lehrkräfte im Unterricht bewältigen müssen, in Form eines Unterrichtsvideos präsentiert und im Seminar systematisch analysiert werden. Dabei geht es besonders um die Kompetenzen, relevante Unterrichtsmerkmale zu erkennen und diese zu beurteilen. Auf Basis dieser Situationsdiagnose müssen Handlungsstrategien entwickelt werden. Wir sprechen dabei von den Kompetenzen der professionellen Wahrnehmung und Entscheidung. Das Medium Video ermöglicht dabei, Unterricht in seiner Vielschichtigkeit abzubilden, indem nicht nur Wortwechsel akustisch präsentiert, sondern auch nonverbale Signale visuell dargestellt werden, die Rückschlüsse auf die Lehrer-Schüler-Beziehung erlauben oder auch wichtige Impulse für die Klassenführung geben können. Dennoch zeigt ein Video immer nur einen Ausschnitt von Unterricht. Genau diese Komplexitätsreduktion sehen wir aber als großen Gewinn für die Lehrkräftebildung, da sie ein Erproben der eigenen Unterrichtskompetenzen ohne Handlungsdruck ermöglicht.

 

Wie lassen sich Kompetenzen der professionellen Wahrnehmung und der professionellen Entscheidung durch den Einsatz von Videos trainieren?

Thiel: Zunächst werden geeignete Unterrichtsvideos benötigt, die das fokussierte Thema veranschaulichen. Um beispielsweise Kompetenzen der Störungsprävention oder -intervention zu fördern, bedarf es Unterrichtsvideos, in denen Störungen auch vorkommen. Das klingt vielleicht sehr einfach, ist aber schwierig zu realisieren. Aufgrund der Datenschutzgesetze des Landes Berlin muss doch Einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden, um Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen, Schulleitungen, aber auch die Senatsverwaltung für die Unterrichtsvideografie zu gewinnen.


Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Zudem müssen die theoretischen Kernkonzepte für die Studierenden aufbereitet werden. Der Forschungsstand muss gesichtet und relevante Merkmale zum Beispiel von typischem Störungsverhalten beziehungsweise adäquate Handlungsstrategien zur Prävention oder Intervention von Unterrichtsstörungen herausgearbeitet werden. Die Vermittlung dieses professionellen Wissens stellt einen wichtigen Punkt unserer Lehr-Lerngelegenheiten dar. Die Videos dienen im nächsten Schritt als Fallbeispiel, auf das das zuvor vermittelte Wissen zum Zweck der Situationsanalyse angewandt wird. Hierbei ist es wichtig, dass Studierende lernen, welche Unterrichtsmerkmale für ihr eigenes Handeln relevant sind. Diese müssen in der komplexen Situation erkannt und mit Rückbezug auf die Theorien beurteilt werden. Hierfür bilden Studierende Kleingruppen, in denen sie gemeinsam das Video mehrfach ansehen und eine Situationsdiagnose durchführen, die von Dozierenden moderiert wird. Im weiteren Schritt werden auf Basis ihrer fundierten Situationseinschätzung Handlungsstrategien entwickelt und deren Wirkung auf den weiteren Situationsverlauf antizipiert. Am Ende einer Sitzung erfolgt ein Austausch im Plenum, um verschiedene Herangehensweisen der Kleingruppen miteinander zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen. Durch dieses Vorgehen wird das Repertoire an möglichen Handlungsstrategien der angehenden Lehrkräfte erweitert.

 

Welche Herausforderungen ergaben sich bei der Entwicklung des FOCUS Videoportals?

Thiel: Neben den bereits angesprochenen datenschutzrechtlichen Hürden für die Videografie des Unterrichts bauen wir momentan drei Bereiche für das Videoportal auf: Neben den entwickelten videobasierten Lehr-Lerngelegenheiten werden alle videografierten Unterrichtsstunden und das damit verbundene Begleitmaterial wie Sachanalysen oder Tafelbilder in einer Videodatenbank zur Verfügung gestellt. Zudem gibt es eine so genannte Toolbox, die neben ausgewählter Fachliteratur auch Instrumente zur Unterrichtsbeobachtung und -analyse bereitstellt.

 

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Im FOCUS Videoportal sind Unterrichtssituationen zum Thema inklusiver Unterricht in der Grundschule, zum Umgang mit Störungen im Unterricht, zum Umgang mit Schüler*innenvorstellungen im Biologieunterricht und zum Formulieren von politischen Urteilen im Politikunterricht zu sehen. Welche weiteren Schritte sind geplant? Wird es zukünftig auch für andere Fächer Lehr-Lerngelegenheiten geben?

Barth: Momentan sind wir noch in der Testphase des Videoportals. Dieses Jahr soll das FOCUS Videoportal für berechtigte Personen freigeschaltet werden. Zugangsberechtigt sind Personen, die in der Lehrkräftebildung in Form von Lehre oder Forschung tätig sind.

Thiel: Für die zweite Projektförderphase haben wir zwei große Ziele: zunächst die Ausweitung der im Videoportal enthaltenen Fächer. Es sollen weitere Kooperationen mit (Fach-)Didaktiken
geschlossen werden, um die Anzahl an videobasierten Lehr-Lerngelegenheiten und Unterrichtsvideos auszubauen. Zudem möchten wir ein Lernformat für die 2. Phase entwickeln, so dass auch Referendar*innen spezifische Angebote zum videofallbasierten Lernen gemacht werden können. Dieses neue Format wird in den kommenden Jahren gemeinsam mit der 2. Phase prototypisch entwickelt und erprobt, um nach einer erfolgreichen Evaluation in die Fläche getragen zu werden.

 

Die Zusammenarbeit in den Teilprojekten ist stark interdisziplinär orientiert. Beispielsweise arbeitet in Teilprojekt 2 die Erziehungswissenschaft eng mit den jeweiligen Fachdidaktiken zusammen. Wie erleben Sie diese Zusammenarbeit?

Thiel: Wir erleben die Zusammenarbeit als sehr bereichernd. Sowohl die Forschung gewinnt durch die verschiedenen fachlichen Hintergründe, da dadurch neue Denkanstöße entstehen, die die gegenseitige Arbeit sehr befruchten , als auch die Studierenden, die davon profitieren, dass die unterschiedlichen Kompetenzen nicht mehr isoliert vermittelt werden, sondern aufeinander abgestimmt und damit anschlussfähig sind.

 

Welche Rolle spielt K2teach aus Ihrer Sicht für die Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung an der Freien Universität Berlin insgesamt?

Barth: K2teach ist ein großer Mehrwert für die Lehrkräftebildung an der Freien Universität Berlin. Nicht nur, dass innovative Lehr-Lerngelegenheiten, wie unsere videobasierten Lernangebote, aber auch die Lehr-Lern-Labore für die Studierenden entwickelt werden, sondern auch, dass die Vernetzung zwischen den an der Lehrkräftebildung beteiligten Bereichen, Erziehungswissenschaft und (Fach-)Didaktiken, gestärkt wird.

Thiel: Zudem werden durch das Projekt neue Strukturen der Kommunikation, aber auch der Ausbildung wie beispielsweise der Q-Master-Studiengang, entwickelt, die alle auf Verstetigung und Nachhaltigkeit ausgelegt sind. K2teach verändert also nicht nur momentan die Lehrkräftebildung an der Freien Universität Berlin, sondern auch langfristig. Viele dieser Projektergebnisse gehen dabei über die Grenzen von Berlin hinaus. So sind mit dem K2teach-Projekt eine Vielzahl an Kooperationen zwischen Universitäten, die bei der Entwicklung videobasierter Lernumgebungen im deutschsprachigen Raum führend sind, entstanden, sowie auch unser Videoportal, das für Fachpersonen der Lehrkräftebildung, ungebunden ihres Ortes, geöffnet wird.

 

Das Interview führte Jennifer Zimmermann