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"So bleibt die Theorie nicht träge, sondern wird 'live' in der Situation erfahren."

Im Gespräch mit wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Lehr-Lern-Labore

16.10.2017

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

"Auf einen Kaffee mit K2teach" trafen wir dieses Mal die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an der Konzeption der Lehr-Lern-Labore (LLL) mitgewirkt haben, die wissenschaftliche Begleitforschung durchführen und an der Weiterentwicklung beteiligt sind. Hier erzählen sie von den Herausforderungen, welche sich bei der Entwicklung und Planung der Lehr-Lern-Labore ergeben können.

Bitten stellen Sie sich sowie ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre kurz vor!

Rehfeldt: Ich heiße Daniel Rehfeldt und bin Koordinator des Teilprojekts 3. Das Besondere an unserem Team ist die Zusammensetzung aus drei Fachdidaktiken und der Grundschulpädagogik. Wir beschäftigen uns mit der Realisierung und Beforschung von Lehr-Lern-Labor-Seminaren. Das ist ein Seminar für Lehramtsstudierende, in dem außer Theorie und Unterrichtsplanung auch tatsächlicher Kleingruppenunterricht mit Schülerinnen und Schülern, die die Universität besuchen, stattfindet.

Klempin: Mein Name ist Christiane Klempin, ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik des Englischen und habe das Sprechatelier Englisch als Lehr-Lern-Labor-Format für die Englischdidaktik adaptiert und implementiert.

Mehrtens: Ich bin Tobias Mehrtens und bin wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Sachunterricht und seine Didaktik. In unserer Arbeitsgruppe haben wir gemeinsam ein Theorie-Praxis-Seminar zum Lehr-Lern-Labor (LLL) weiterentwickelt.

Seibert: Mein Name ist David Seibert und ich beschäftige mich mit der Beforschung der Lehr-Lern-Labor-Seminare im Geschichtsunterricht.


Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach die Lehre in einem so praxisbezogenen Lehrformat gegenüber den herkömmlichen Lehr-/Lernangeboten?

Mehrtens: Die Schwierigkeit gerade in den höheren Semestern ist der steigende Abstraktionsgrad. Wenn die Studierenden Themen wie den Konstruktivismus, die Gestaltung von Lernumgebungen, die forschendes Lernen oder Inklusion ermöglichen, in der Theorie bearbeiten, ist die Vorstellung einer konkreten Umsetzung des theoretischen Wissens in der Praxis doch immer sehr schwierig für sie. Jetzt haben sie die Gelegenheit, Theorie und Praxis zu vernetzen und sich selbst als Lehrkraft in einer geschützten und überschaubaren Lehr-Lern-Umgebung auszuprobieren. Dabei lernen sie viel über naturwissenschaftliche Inhalte, über Didaktik und Methodik, über sich selbst und über Kinder. Das gefällt ihnen sehr gut.

Klempin: Praxisorientierung ist auf jeden Fall ein Schwerpunkt der LLL. Die Anforderungen sind komplexitätsreduziert, schlichtweg darüber, dass weniger Schülerinnen und Schüler als in einer klassischen Unterrichtssituation durch die Studierenden zu betreuen sind. Dadurch ist auch viel eher eine individuelle Betreuung und ein individuelles Anpassen an die Bedürfnisse der Lernenden möglich.

Mehrtens: Ein weiterer Vorteil ist, dass sie eine unmittelbare Reflexion von ihren Mitstudierenden bekommen, die sie ja während des LLLs beobachten. Diese Mischung aus der individualisierten Umsetzung der eigenen Lernumgebung, der vorstrukturierten Reflexion und Begleitung ist eine unserer Kernkomponenten.

Klempin: Der Laborcharakter bedeutet für die Studierenden auch zu experimentieren. Also zu schauen, was gut und was weniger gut mit den Schülerinnen und Schülern funktioniert. Was kommt gut an, was passt zu mir, wie stelle ich mir meine Lehrerrolle vor, welche Lehrerpersönlichkeit möchte und kann ich entwickeln und was benötigen die Lernenden?

Rehfeldt: Ich denke, dass die unmittelbare Möglichkeit, die zuvor erlernte Theorie in Planung und Durchführung von Unterricht umzusetzen, den wesentlichen Unterschied ausmacht. So bleibt die Theorie nicht träge, sondern wird “live” in der Situation erfahren.


Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Entwicklung und Planung der Lehr-Lern-Labore im Gegensatz zu den herkömmlichen Seminaren?

Seibert: Eine Menge Herausforderungen, die ich anfangs nicht gesehen habe. Auf der einen Seite ist es recht schwierig, zuverlässige Partnerschulen zu finden, auf der andern Seite stehen die universitären Rahmenbedingungen. Das LLL ist im Gegensatz zu anderen Lehrveranstaltungen recht zeitintensiv. Hinzu kommt, dass in meinem Fall für die Schülerinnen und Schüler fünf Räume mit Computerausstattung parallel gebucht werden müssen.

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Klempin: Auch für mich ist eine Herausforderung, Schulen zu finden, die Interesse an dem Format haben, sowie bereit sind, mit der Universität zu kooperieren. Ich finde es wichtig, Lehrmaterialien, die in den Laboren entstanden sind, den Schulen zur Verfügung zu stellen, um die Erkenntnisse aus der Universität an die Schulen zurückzuführen. Dass man den Schulklassen beispielsweise Führungen durch die Universität oder den Besuch einer Vorlesung anbietet, finde ich im Sinne des zweifachen Auftrages der LLL – nämlich Theorie und Praxis zu verbinden – enorm wichtig. Damit bei den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern, der Schule und den Lehrkräfte am Ende nicht das Gefühl haften bleibt, dass sie der Universität mehr genützt haben als andersherum.

Mehrtens: Bei uns im Arbeitsbereich Sachunterricht haben wir den Vorteil einer sehr gut ausgestatteten Lernwerkstatt, die forschendes Lernen auf mehreren Ebenen ermöglicht. So können bei uns die Studierenden, die Kinder und auch wir als Wissenschaftler*innen forschend lernen. Besonders herausfordernd ist, dass das Ganze im sogenannten ‚zyklischen‘ Prozess abläuft: Es werden pro Seminar zwei Mal Kindergruppen ins Seminar eingeladen. Das erfordert einigen organisatorischen Aufwand. Wir profitieren dabei aber sehr von unserem Schulkooperationsprojekt ‚SuNaWi trifft Schule‘. 


Eine Besonderheit des LLL-Formats ist, dass die Studierenden in an der Realität orientierten Lehr-Lern-Situationen mit Schüler*innen Erfahrungen sammeln können. Wie werden die LLL-Angebote seitens der Schulen angenommen?

Rehfeldt: Meine bisherigen Erfahrungen mit den Schulen sind allesamt positiv. Die Lehrerinnen und Lehrer freuen sich auf den Besuch, die Schülerinnen und Schüler finden es allerspätestens nach den ersten Minuten klasse.

Klempin: Als Zugewinn werden die Formate wahrgenommen. Zumindest habe ich von zwei Lehrkräften bisher rückgemeldet bekommen, dass die entwickelten Lernumgebungen ihren Weg in den normalen Unterricht gefunden haben. Materialien, die an der Universität entwickelt wurden, sind im Englischunterricht eingesetzt worden oder wurden für diesen angefragt. Außerdem empfanden etliche Lehrkräfte die Beobachtung ihrer Klassen und Schülerinnen und Schüler in der Interaktion mit den Studierenden als sehr lehrreich. Zuweilen gab ihnen die Beobachtung der eigenen, vertrauten Klasse eine neue Sicht auf diese.

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Mehrtens: Unsere Lehrerinnen und Lehrer haben uns auch häufig zurückgemeldet, dass sie es spannend fanden, zu beobachten, wie manche Kinder sich außerhalb dieses sozialen Kontexts Schule verhalten, da sie ja in ihrem sozialen Gefüge auch gefangen sind und auf einmal aus sich herausgehen.

Seibert: Im Fach Geschichte hingegen konkurrieren wir in Berlin mit sehr vielen außerschulischen Lernorten, die hochgradig professionell angefertigte Materialien oder Touren anbieten. Gerade in Geschichte wollen doch die meisten etwas „zum Anfassen“. So etwas wie das Stasigefängnis, das Holocaust-Mahnmal oder das Jüdische Museum. Die Versprechungen von innovativen Unterrichtsmethoden mit digitalisierten Zeitzeugeninterviews, die in Kleingruppen bearbeitet werden, machen es mitunter schwer Schulen zu finden, die am LLL teilnehmen wollen.


Auf welche professionsbezogenen Schwerpunkte fokussieren Sie in Ihrem LLL insbesondere?

Mehrtens: Im Sachunterricht setzen wir den Fokus auf das Forschende Lernen, das fachbezogenen, didaktische und pädagogische Aspekte aufweist und die Studierenden gleichzeitig selbst zu Forschenden macht. Ein besonderer Schwerpunkt in meinem Forschungsprojekt liegt auf der Entwicklung der Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeit bei den Studierenden in Bezug auf die Lernprozesse der Kinder, die in der gestalteten Lernumgebung beobachtbar sind.

Klempin: Im Sprechatelier Englisch geht es vorrangig um die Entwicklung didaktischer Reflexionskompetenz. Außerdem erwerben die Studierenden fachdidaktisches Theoriewissen zur Förderung von Sprechkompetenz im Englischunterricht. Dieses Wissen nutzen sie dann für die Planung, Gestaltung, Erprobung und Reflexion. Ich schaue mir daher auch an, wie sich die sprechfördernde Performanz der Studierenden im LLL-Verlauf möglicherweise verändert.

Rehfeldt: In meinem Bereich soll der Umgang mit Schülervorstellungen praxisnah erlernt werden.

Schülerinnen und Schüler bringen viele Alltagsvorstellungen von den Naturwissenschaften mit, die teils nur recht schwierig mit der naturwissenschaftlichen Sicht vereinbar sind. Dieses Spannungsfeld gilt es zu berücksichtigen.

Seibert: Bei mir geht es vordergründig darum, dass die Studierenden den Beruf des Lehrenden auch als eine Profession wahrnehmen. Also als einen Beruf, der eine gesellschaftlich relevante Funktion ausübt in einem Feld, das von permanenter Unsicherheit gezeichnet ist.

 

Welche Entwicklungsmöglichkeiten ergeben sich für die Konzipierung der Lehr-Lern-Labore, nachdem nun die ersten Seminare abgeschlossen wurden?

Seibert: Prinzipiell sehr viele. Ich hatte schon mit Frau Klempin darüber nachgedacht, ein LLL anzubieten, in dem wir Geschichts- und Englischdidaktik kombinieren. Zeitzeugeninterviews der Shoa könnten so von Geschichts- und Englischlehramtsstudierenden gemeinsam inhaltlich aufbereitet und zur Sprechförderung in englischer Sprache genutzt werden. Solche Kooperationen sind vor allem mit allen geisteswissenschaftlichen Fächern denkbar, zum Beispiel Politik. Außerdem wäre es möglich, LLL in Weiterbildungen für Lehrer*innen zu integrieren.

Klempin: Im Sprechatelier Englisch wurde im Sommersemester bereits mit Videografien gearbeitet. Dazu wurden die Studierenden bei ihren Aktivitäten videografiert. Fünf bis sieben Studierende waren es im ersten Durchgang. Im Anschluss haben wir diese Videovignetten für Reflexionsgespräche verwendet. Im zweiten Durchgang wurde der Rest der insgesamt 15 Studierenden videografiert. Das empfanden nicht nur die Studierenden, sondern auch ich als sehr fruchtbar. Ich kann aktuell leider noch auf keine empirische Daten zurückgreifen, welche zeigen wie effektiv die videogestützte Reflexion tatsächlich war, aber die mündliche Studierendenrückmeldung hat mir gezeigt, dass die Videografien als unglaublich bereichernd empfunden wurden. Was darüber hinaus ebenfalls schon Umsetzung gefunden hat, ist die Integration verschiedener Fächer in das Sprechatelier. Die Studierenden haben in diesem Semester die Möglichkeit erhalten, ihr Zweitfach in die Gestaltung einer englischen Sprechaktivität einzubinden. Das fachdidaktische Prinzip dahinter nennt sich dann CLIL – content language integrated learning. Für die Zukunft ist ferner angedacht, ein Drama-Lab mit dramenpädagogischen Ansätzen zu entwickeln.

Quelle: Mathis Römer

Quelle: Mathis Römer

Mehrtens: Bei uns im Sachunterricht erweitern wir einerseits die Themenbereiche und bieten neben naturwissenschaftlichen Seminaren nun auch technik- und informatikbezogenen LLL-S an. Andererseits werden wir im nächsten Semester einen Fokus auf das Erkennen besonderer Begabungen bei den Kindern setzen.

Klempin: Genau an so etwas zeigt sich, dass das LLL eine unglaublich flexible und adaptiv einsetzbare Lernumgebung für Studierende darstellt. Man kann sie wirklich auf viele Bereiche ausdehnen.

Rehfeldt: Im Wesentlichen sind unsere theoriegeleiteten entstandenen Konzeptionen aber so erhalten geblieben, es gab lediglich kleinere Änderungen an Unterrichts- und Beobachtungsmaterialien. Hier hat es sich wirklich ausgezahlt, von vornherein auf Basis einer gemeinsamen theoretischen Basis vorzugehen. So sind, nicht zuletzt, unsere Seminare auch untereinander vergleichbar.

 

Gibt es sonst noch etwas, was Sie uns mitgeben möchten?

Rehfeldt: Bei all der Praxis, die hier in unsere Seminare Einzug gefunden hat, das Ziel unserer Seminare bleibt das Erlernen relevanter fachdidaktischer Theorie. Die Rückmeldungen von Studierenden, die genau dieser Theorie nunmehr eine erhöhte Bedeutung für ihr Berufsleben zuschreiben, macht mich stolz auf unser Teilprojekt.

Klempin: Ja, die LLL haben großes Potential, man kann sich sehr viel anschauen, was auf Studierendenseite passiert, beispielsweise hinsichtlich Professionalisierungsentwicklung, didaktischer Reflexionskompetenz und der, von den Studierenden wahrgenommenen, Praxisrelevanz der Veranstaltung.

Mehrtens: Die Studierenden schätzen dieses Seminar sehr, weil wir damit ihrem Wunsch nach mehr Praxis nachkommen. Sie werden dabei aber nicht ins ‚kalte Wasser‘ geworfen, sondern unterstützt und begleitet, und sie können ihre Erfahrungen in den Seminaren reflektieren, ihre Lernumgebungen optimieren und nochmals erproben. So lernen sie, wie ein individualisierter und adaptiver Unterricht in inklusiven Lerngruppen aussehen kann und entwickeln dabei ein positives Selbstkonzept. Für die Lehrkräftebildung sind die LLL also ein ausgesprochen wichtiger und innovativer Beitrag.

Die Fragen stellte Annemarie Jordan