Springe direkt zu Inhalt

„Unseriöse Journale bauen die seriösen Zeitschriften mittlerweile quasi nach“

Campus.leben-Serie Wissenschaft und Open Access: Interview mit Andreas Brandtner, Leitender Direktor der Universitätsbibliothek, zu Medienberichten über fragwürdige Open-Access-Publikationen

25.07.2018

„Die Diskussion um Predatory Journals tendiert mitunter dazu, Open Access zu diskreditieren. Das ist verfehlt", sagt Andreas Brandtner, Leitender Direktor der Universitätsbibliothek.

„Die Diskussion um Predatory Journals tendiert mitunter dazu, Open Access zu diskreditieren. Das ist verfehlt", sagt Andreas Brandtner, Leitender Direktor der Universitätsbibliothek.
Bildquelle: Leyre LabargaUnsplash

Aktuell gibt es Medienberichte über fragwürdige Open-Access-Publikationen. Wie können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unseriöse Verlage erkennen? Und wo können sie an der Freien Universität Hilfe erhalten? Campus.leben sprach mit dem promovierten Literaturwissenschaftler und Leitenden Direktor der Universitätsbibliothek der Freien Universität, Andreas Brandtner, über die aktuellen Meldungen sowie Beratungsangebote der Freien Universität.

In vielen Medien wird in diesen Tagen über wissenschaftlich unseriöse Journale berichtet. Haben Sie die Berichte überrascht?

Andreas Brandtner: In Ausmaß, Eskalationsgrad und in der Verallgemeinerung hat mich die Berichterstattung tatsächlich überrascht. Wir nehmen das Phänomen sogenannter Predatory Journals seit längerer Zeit wahr und haben es als zu identifizierende Gefahr auch in unseren Beratungsservices berücksichtigt. Zudem gilt grundsätzlich, dass Wissenschaft als hochkompetitives System strukturell Fehlleistungen ausgesetzt ist, dazu gehören Betrug, Fälschung, Plagiarismus und unseriöse Publikationsangebote.

Haben Sie ein Beispiel für eine wissenschaftliche Fälschung?

Ein besonders interessantes Beispiel ist sicherlich Horst Bredekamps Zuschreibung mehrerer Tuschezeichnungen an Galileo Galilei. Der angesehene Berliner Kunsthistoriker hat allerdings nicht selbst gefälscht, sondern ist dem Betrug des italienischen Antiquars, Kunstfälschers, Bücherdiebs und Bibliotheksdirektors Marino Massimo De Caro aufgesessen. Bredekamp hat sich nach der Aufdeckung der Fälschung selbst damit auseinandergesetzt und dazu publiziert sowie Vorträge gehalten. Auch bei den Predatory Journals ist ja nicht primär die mangelnde akademische Integrität der Forscherinnen und Forscher gemeint, sondern zuallererst eine dubiose verlegerische Praxis.

Ist das Ausmaß von Publikationen in unseriösen Zeitschriften gestiegen?

Ja, man kann das auch sachlich begründen: Einerseits stehen Forscherinnen und Forscher, die ihre wissenschaftliche Karriere weiterentwickeln wollen, heute unter einem extremen Publikationsdruck. Der bezieht sich auch auf die Quantität der vorgelegten Publikationen. Wissenschaftliche Reputation wird noch immer zu einem guten Teil an der Zahl der Publikationen gemessen – wenn Sie sich um eine Stelle bewerben, dann haben Sie auch ihre Publikationsliste einzureichen. Das ist die Seite der Forschung, die eine starke Nachfrage an Publikationsmöglichkeiten anmeldet, um symbolisches Kapital aufbauen zu können. Nun wird dieser Bedarf in einem mittlerweile kommerzialisierten Informationsmarkt aufgegriffen, auf dem mit dem Publizieren wissenschaftlicher oder vorgeblich wissenschaftlicher Information sehr viel Geld verdient werden kann. Da durch die Möglichkeiten eines rein digitalen Publizierens die Eintrittsschwellen sehr gering sind, fädeln genau hier die unseriösen Predatory Journals ein. Mit Blick auf die Monopolbildung im wissenschaftlichen Verlagswesen erklärt der Wissenschaftsforscher Michael Hagner diese Konstellation sehr anschaulich als Verschränkung von Informationskapitalismus und Akademischem Kapitalismus, bei dem der akademische Alltag durch Kriterien geprägt wird, die einer kapitalistischen Konkurrenzsituation des freien Marktes und der Erfüllung bestimmter marktgetriebener Kriterien entsprechen.

Den sogenannten Predatory Journals wird vorgeworfen, unter Vortäuschung eines wissenschaftlichen Anstrichs Geschäftsmodelle zu betreiben, bei denen Forscherinnen und Forscher für die Veröffentlichung von Artikeln zahlen. Ihnen werden aber nicht die üblichen Peer-Review-Verfahren angeboten, die für seriöse Fachzeitschriften selbstverständlich sind. Das heißt, die Artikel werden nicht wie üblich nach einer kritischen Überprüfung durch erfahrene Fachkolleginnen und -kollegen überarbeitet. Ist es also per se unseriös, für eine Open-Access-Publikation zu bezahlen?

Nein, definitiv nicht. Die Diskussion um Predatory Journals tendiert mitunter dazu, Open Access zu diskreditieren. Das ist verfehlt, da die Einhaltung oder Nicht-Einhaltung von Qualitätsstandards für Open Access oder Closed Access nicht spezifisch ist. Es gibt Open-Access-Journals mit strengsten Auflagen und Closed-Access-Organe, die ungeprüft publizieren und vice versa. Für das Publizieren im Open Access hat sich das Bezahlmodell geändert. In Open-Access-Publikationen zahlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Veröffentlichungen ihrer Artikel. Üblicherweise sind dies Mitglieder von Institutionen, beispielsweise von Universitäten, und diese Institutionen beziehungsweise ihre Bibliotheken richten Publikationsfonds ein. An der Freien Universität gibt es seit 2012 einen solchen Fonds, aus dem die Publikationskosten – nach Annahme des Artikels – bezahlt werden; man spricht von der Article Processing Charge, kurz APC. Die Publikationsgebühr ersetzt perspektivisch die Subskriptionsgebühr für das Abonnement, die beispielsweise wir als Universitätsbibliothek bezahlen.

Andreas Brandtner ist promovierter Literaturwissenschaftler und leitet die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin.

Andreas Brandtner ist promovierter Literaturwissenschaftler und leitet die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Peter Pulkowski

Tritt die Subskriptionsgebühr in den Hintergrund?

Ja, in der von uns unterstützten Perspektive, wissenschaftliche Information möglichst im Open Access bereitzustellen. Das ist das Ziel der Open-Access-Bewegung, dass alle wissenschaftlichen Publikationen frei verfügbar sind. Momentan befinden wir uns in einer Transformationsphase, in der es teilweise noch Double Dipping gibt, das heißt, man zahlt zweimal: Der Wissenschaftler zahlt für die Publikation seines Artikels, die Institution zahlt die Subskriptionsgebühr für die Zeitschrift. In Deutschland hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Förderprogramme aufgesetzt, um die Transformation zu Open Access zu unterstützen. So werden etwa Kooperationen zwischen Verlagen und Bibliothekskonsortien mit dem Ziel gefördert, wissenschaftliche Zeitschriften, die über Subskriptionsgebühren bezahlt werden, in Open-Access-Zeitschriften zu transformieren.

Dann ist es das Ziel, die Subskriptionsgebühren zu vermeiden?

Ja, das ist das Ziel. Das Phänomen des Double Dipping fördern auch wir als Freie Universität Berlin nicht. Die DFG unterstützt an den Institutionen deshalb Publikationsfonds für Open-Access-Zeitschriften. An die Publikationen des Fonds legt die DFG hohe qualitative Maßstäbe an. Informationen gibt es dazu auf unserer Website. Zu den Vorgaben zählt auch, dass die Publikationskosten eines Artikels einen bestimmten Betrag nicht überschreiten dürfen.

Wie hoch liegt diese Obergrenze?

Es sind 2.000 Euro. Alles, was darüber hinausgeht, wird über die DFG nicht finanziert, auch nicht anteilig. Damit achtet man darauf, dass es nicht zu Preisexplosionen bei den APCs kommt.

Doch komplett fördert die DFG den Publikationsfonds dabei auch nicht?

So ist es; sie finanziert den Publikationsfonds einer Universität immer nur anteilig, die Universitäten müssen ihren Eigenanteil selbst erbringen. Je länger der Publikationsfonds einer Einrichtung durch Mittel der DFG gefördert wird, desto mehr nimmt sich die DFG zurück und desto höher wird der Eigenanteil. Es ist eine programmatische DFG-Förderung, also eine Art von Anschub- bzw. Projektfinanzierung zugunsten von Open Access und keine dauerhafte Infrastrukturförderung. Die DFG evaluiert derzeit ihre Open-Access-Programme und wird dann über die weitere Gestaltung entscheiden. Der Gedanke dahinter ist, dass die Mittel der Medienetats von Bibliotheken zugunsten von Open-Access-Fonds verschoben werden – analog zur Verschiebung von den Subskriptionsgebühren hin zu den Autorengebühren. An der Freien Universität hat das Präsidium im Februar 2013 entschieden, den Fonds dauerhaft für Universitätsangehörige zu erhalten, also auch nach einem eventuellen Auslaufen der DFG-Förderung.

Zurück zu unseriösen Journalen – von welchen Dimensionen sprechen wir? Wie hoch liegt der Anteil von Veröffentlichungen in Deutschland in diesen Journalen, gemessen an allen wissenschaftlichen Publikationen?

Dazu kann ich keine seriöse Schätzung geben. In den Medien werden Zahlen genannt, deren Errechnung mir bisher nicht einsichtig ist. Da es keine Meldepflicht für wissenschaftliche Publikationen gibt, liegen uns keine Zahlen betroffener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität, die in diesen Zeitschriften veröffentlicht haben, vor. Wir haben nur von sehr wenigen Einzelfällen erfahren und die Betroffenen entsprechend informiert.

Eine überregionale Zeitung schreibt von einer Mischung aus „Wissen, Halbwahrheit und Irreführung“, die durch die scheinwissenschaftlichen Journale in die Welt sickere. Werden durch diese Formulierung die wissenschaftliche Qualität aller Texte und die Integrität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern insgesamt in Zweifel gezogen?

Ja, das sind die negativen Folgen einer kritischen und zuweilen verallgemeinernden Berichterstattung. Das Wissenschaftssystem in Deutschland agiert auf einem sehr hohen Niveau, es bedarf einer differenzierten Analyse der Fehlleistungen und nicht einer pauschalen. In diesem Zusammenhang ist es auch hilfreich, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einräumen, dass sie Aufsätze in Zeitschriften veröffentlicht haben, bei denen sich inzwischen herausgestellt hat, dass sie unseriös sind. Es handelt sich nichtsdestotrotz zumeist um eine seriöse Forschungsleistung, die schlicht in ein unseriöses Journal geraten ist. Das aber macht die Artikel selbst noch lange nicht unseriös. Wichtig ist aber – das haben einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zurecht betont – dass die Betroffenen transparent machen, wenn sie erkannt haben, dass sie in unseriösen Zeitschriften publiziert haben. Dies würde allen helfen, aus Fehlern zu lernen.

In den Medien werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Teil als unbedarft beschrieben.

Es kann den seriösesten Wissenschaftlern passieren, in einem unseriösen Journal zu publizieren. Davor ist niemand gefeit. Analog übrigens zur Teilnahme an unseriösen Konferenzen – denn die gibt es auch; man spricht hier von Predatory Conferences. Deren Organisatorinnen und Organisatoren haben großes Interesse daran, einen hochgradig renommierten Forscher als Ausweis der Seriosität der Veranstaltung zu gewinnen, gewissermaßen als Zugpferd, um weitere Teilnehmer anzulocken.

Machen viele Forscherinnen und Forscher ihre Erfahrungen mit unseriösen Publikationen und fragwürdigen Konferenzen vielleicht auch aus Scham nicht öffentlich?

Ganz sicher. Ein solcher Fehler wird nicht gern eingeräumt. Aber eine für alle Kolleginnen und Kollegen richtige Reaktion wäre die Herstellung von Transparenz nach einer derartigen Erfahrung im Sinn einer konstruktiven Fehlerkultur.

Woran erkennt man „scheinwissenschaftliche Journale“ oder Raubjournale, wie sie in den Medien etwas reißerisch auch genannt werden?

Ein Kriterium wäre, dass zwischen Einreichung und Publikation sehr wenig Zeit verstreicht; es sollte misstrauisch machen, wenn ein Artikel unmittelbar nach Abgabe veröffentlicht werden kann. Das wäre ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Peer Review nicht oder nur sehr oberflächlich stattgefunden hat. Vorsicht ist auch dann geboten, wenn eine Zeitschrift nicht in Fachdatenbanken zu finden ist, beispielsweise im Directory of Open Access Journals, das als eine Art „White List“ fungiert. Oder wenn der Verlag der Zeitschrift nicht Teil der Organisation der Open Access Scholarly Publishers Association ist. Hellhörig machen sollte auch, wenn Sie als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler bei der Kontaktaufnahme durch das Magazin nur sehr allgemein angeschrieben werden.

Unseriöse Journale könnten bei diesem Punkt aber ihre Methoden verfeinern und die Gefahr erhöhen, dass jemand auf das Angebot hereinfällt …

… ja, das stimmt, und das ist die Tendenz – unseriöse Journale bauen die seriösen Zeitschriften mittlerweile quasi nach.

Was raten Sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, um unseriösen Zeitschriften nicht aufzusitzen?

Sie sollten bei der Auswahl des Publikationsorgans sehr sorgfältig sein. Es gibt beispielsweise an der Freien Universität eine Reihe von Hilfsmitteln, mit denen man die Journale prüfen und einschätzen kann. Sie sind über unsere Website zugänglich. So gibt es dort Handlungsempfehlungen der Initiative Think-Check-Submit – also „denken, prüfen, einreichen“ –, und es gibt Hinweise auf der Seite http://whyopenresearch.org/journals. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die eine Zeitschrift nicht kennen oder die Herausgeber nicht einschätzen können, finden dort Kriterien, die sie anlegen können. Einzelne Verdachtsmomente können immer auftreten, auch bei seriösen Journalen. Doch wenn es zu einer Ballung nicht erfüllter Kriterien kommt, ist der dringende Verdacht berechtigt, dass es sich um eines dieser Predatory Journals handelt.

Können Forscherinnen und Forscher an der Freien Universität wählen, in welchen Journalen sie publizieren?

Ja. Das ist ganz wichtig. Doch mit der Freiheit der Publikation ist immer auch Verantwortung verbunden. Wer also beispielsweise durch die DFG gefördert publiziert, verpflichtet sich, nach den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis zu agieren. Als Mitglied einer Universität sind Sie ohnehin immer auch an die akademische Integrität gebunden.

Nochmal zurück zu den Medienberichten über schwarze Schafe unter den Journalen. Wie gut sehen Sie die Freie Universität und ihre Mitglieder dagegen „geimpft“?

Wir sind gut aufgestellt. Die Hochschulleitung unterstützt alle Möglichkeiten, damit bei Open-Access-Publikationen wissenschaftliche Standards und hohe Qualität erreicht werden. Bereits vor zehn Jahren wurde eine Open-Access-Policy veröffentlicht, seit 2012 gibt es den erwähnten Open-Access-Publikationsfonds, und 2017 wurde die Open-Access-Strategie verabschiedet.

Gibt es weitere Möglichkeiten, sich über das Thema zu informieren?

Ja, unterstützt, sensibilisiert und aufgeklärt werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise durch Schulungen und Workshops unseres Open-Access-Teams, einige davon finden in den Fachbereichen statt – und jederzeit sind auch Einzelberatungen möglich. Die Kolleginnen und Kollegen helfen dabei, seriöse Zeitschriften zu identifizieren. Open Access ist für die Freie Universität kein Neuland.

Das Interview führte Carsten Wette.

Weitere Informationen

Das Open-Access-Team steht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Fragen rund um das Thema Open Access und Elektronisches Publizieren zur Verfügung:

Universitätsbibliothek, Center für Digitale Systeme (CeDiS)

Universitätsbibliothek, Redaktion Dokumentenserver

Zentrale Webseite: 

www.fu-berlin.de/open-access

Lesen Sie auch die anderen Interviews aus der Open-Access-Serie: