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Neubau Philologische Bibliothek der FU Berlin

Michael Krauß

Kurzer Abriss der Planungsgeschichte der „Rostlaube"

Building of change

In Dahlem, dort, wo sich heute das große Gebäudeensemble der FU mit „Rost- und Silberlaube", Mensa und Erziehungswissenschaftlicher Bibliothek ausbreitet, wurden bis Mitte der 60er Jahre Äpfel geerntet. Das bis dahin noch nicht bebaute Versuchsgelände für Obstbau zwischen Habelschwerdter Allee und Fabeckstrasse war ursprünglich ein Teil des Grundstücksvorrats, der vom preußischen Staat Anfang des 20. Jahrhunderts für eine in Dahlem geplante Stadt der Wissenschaft angelegt worden war. Für die 1948 neu gegründete Freie Universität, deren Institute anfänglich in sehr bescheidenen Quartieren untergebracht waren, wurde es aber mit einsetzendem Wachstum bald dringlich, einen größeren räumlichen Rahmen abzustecken. Was also lag näher, als auf den bereitliegenden Vorratsflächen den neuen Campus zu entwickeln.

1963 wurde ein internationaler Architektenwettbewerb zur Bebauung des gesamten ehemaligen Obstbaugeländes ausgeschrieben. Ihm lag ein Programm zugrunde, das umfängliche Bauflächen für nahezu das gesamte Spektrum der Geistes- und Naturwissenschaften der FU beanspruchte. Gewinner des Wettbewerbs war ein junges Team aus Paris mit den Architekten Georges Candilis, Alexis Josic und Shadrach Woods. (Candilis und Woods hatten zeitweilig bei Le Corbusier gearbeitet. Dessen Entwurf von 1964 für das Hospital in Venedig zeigt übrigens eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Wettbewerbsentwurf für die FU.) Sie gehörten mit ihren strukturalistischen Entwurfskonzepten in den 60ern zu den Architekten, die sich gegen die Erstarrung der modernen Architektur wandten und für eine Überwindung der Dogmen der Charta von Athen plädierten (1). Der prämierte Entwurf sah eine flache 2-geschossige Bebauung vor, ein clusterartiges Raumgefüge mit einem vernetzten System von allgemein zugänglichen Straßen und Wegen, das die Einrichtungen und unterschiedlichen Institute verbinden sollte. Oberstes Prinzip bei dem Entwurf war seine Veränderbarkeit und Anpassungsfähigkeit an künftige Entwicklungen der Hochschule. Nachdem der Auftrag vom Bausenator erteilt war, eröffnete Shadrach Woods (2), einer der profilierten Vertreter der internationalen Architektengruppe des Team-X, in Berlin mit Manfred Schiedhelm ein Büro und zeichnete zunächst einen Masterplan für die Gesamtanlage, auf dessen Basis dann die ersten Bauabschnitte gebildet wurden. Die Realisierung des auch in der Fachwelt viel beachteten Projekts ging dann allerdings nur schleppend voran; das hatte verschiedene Ursachen: Die gravierendste war die auch damals prekäre finanzielle Situation der Stadt, die für den Neubau einer ganzen Universität – denn darauf lief der Gesamtbebaungsplan letztlich hinaus – die erforderlichen Mittel in einer angemessenen Zeit kaum zur Verfügung stellen konnte. Hinzu kamen technische Probleme, insbesondere bei der Entwicklung und Fertigung des aus dem Wettbewerb hervorgegangenen elementierten Fassadensystems. Das technische Konzept hierfür stammte von dem französischen Konstrukteur Jean Prouvé, der angesichts der großen Zahl von Elementen naturgemäß von einer industriellen Herstellung ausging, für die aber in Berlin kaum geeignete Betriebe zu finden waren. Überlagert wurde der Vorgang durch die Entscheidung, für die Fassade ein neues, aber nicht ausreichend erprobtes Material zu verwenden: Die neu entwickelte Stahl-Legierung Cor-ten sollte nach kurzer Korrosionszeit eine stabile Rostpatina als wartungsfreie Schutzschicht bilden - eine Erwartung, die sich bekanntlich nicht erfüllt hat. Aber auch auf dem Gebiet des Baumanagements lief nicht alles optimal.

So kam es, daß die Baustelle, die 1967 eröffnet worden war, sich Jahre hinschleppte; gerade mal ein erster Teilabschnitt, die „Rostlaube“, wurde schließlich 1973 bezogen. Inzwischen war die Zahl der Studierenden an der FU sprunghaft angestiegen und die Raumsituation angespannt wie nie zuvor: Während zu Beginn der Planung noch um die 10.000 Studierende an der FU eingeschrieben waren, hatte sich die Zahl bis Anfang der 70er Jahre auf 25.000 erhöht. Das Nutzungskonzept der gerade fertiggestellten „Rostlaube“ , deren Räume eigentlich nur für die damaligen Fachbereiche Germanistik und Geschichte vorgesehen waren, mußte überarbeitet werden mit dem Ergebnis einer notwendigerweise erheblichen Verdichtung: Die Romanistik und das neu errichtete Zentrale Sprachlabor mußten zusätzlich aufgenommen werden. Auch die 1978/80 fertiggestellte „Silberlaube“ (der zweite Teilabschnitt, dessen Außenhaut aus Aluminium besteht) wurde wesentlich dichter belegt als ursprünglich geplant - dies war eine Folge der Integration der Lehrerausbildung und Auflösung der früheren Pädagogischen Hochschule in Lankwitz.

Die Situation spitzte sich zu, als im Jahr 1990 festgestellt wurde, daß beide Bauabschnitte, die „Rost- wie die Silberlaube“, stark asbestbelastet waren und deshalb umgehend geschlossen werden mußten. Es sah zunächst so aus, als ob der gesamte Lehrbetrieb im Gebäude erst einmal für längere Zeit stillgelegt werden müßte. Durch provisorische Schutzmaßnahmen (Abkleben der Deckenfugen und Durchführung regelmäßiger Kontrollmessungen) wurde jedoch erreicht, daß der Betrieb bis auf weiteres wieder aufgenommen und eine Auslagerung der Institute einschließlich ihrer Buchbestände vermieden werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war aber auch eine grundlegende technische Sanierung der gesamten „Rostlaube“, die ihren Namen nicht nur aufgrund der inzwischen völlig maroden Fassade zu Recht verdiente, längst überfällig: Undichte Dächer und Decken, absturzgefährdete Unterdecken, verschlissene Bodenbeläge, abgenutzte Installationen - es war wirklich sehr an der Zeit, alle wichtigen Sanierungsmaßnahmen zu bündeln, einschließlich der nicht-technischen Belange der Nutzung. Das Programm für die Erneuerung gliederte sich in:

  • Asbestsanierung und Wiederherstellung der technischen Systeme
  • Erneuerung der Fassaden und der Dacheindeckungen
  • Anpassung der Nutzungsstruktur an die fachlichen Erfordernisse.

Auch das aus den 60er Jahren stammende Nutzungs- und Belegungsmodell entsprach mittlerweile keineswegs mehr den Anforderungen der nicht nur größer gewordenen, sondern auch fachlich weiter ausdifferenzierten Institute und Fachbereiche. Eine Anpassung der Raumstruktur war in einem grundlegenden Sinn erforderlich. Im Grunde war es paradox: Die Veränderbarkeit und Anpassbarkeit an neue Bedürfnisse war ja eines der wichtigen Planungskriterien von Anfang an gewesen - in der Theorie jedenfalls. Es hatte sich jedoch gezeigt, daß die dem Ursprungs-Entwurf zugrunde liegende Idealvorstellung einer offenen und flexiblen Baustruktur, die sich Wachstums- wie Schrumpfungsprozessen der fachlichen Einrichtungen anpassen sollte, der Belastung durch den permanenten Fluß der Besucherströme, die sich durch das gesamte Gebäude zogen und auch die dem ruhigen Arbeiten gewidmeten Innenzonen tangierte, nicht standhielt. Vielleicht hätte dies Prinzip bei einer Hochschule mit überschaubar kleinen Instituten noch funktioniert - so aber entwickelte sich die FU ab Mitte der 70er Jahre zu einer der studentenzahlmäßig größten deutschen Hochschulen. Ein weiteres drängendes Raumproblem war infolge der inzwischen erreichten Größe und dezentralen Struktur der Bibliotheken entstanden. Nach einer ausführlichen, anfänglich durchaus auch kontroversen Diskussion der strukturellen Fragen wurde schließlich als Planungsziel für die umzubauende „Rostlaube“ festgelegt, daß der gesamte Fächerbereich der Philologien der FU dort räumlich zusammengeführt werden soll, wobei für die einzelnen Institute jeweils überschaubare und abgegrenzte eigene "Häuser" eingerichtet werden sollen. Als Bemessungsgrundlage für den Raumbedarf gelten die Sollgrößen des Strukturplans 2003, die eine gegenüber dem bisherigen Bestand reduzierte Zahl von Lehrpersonen und Studierenden vorsehen. Die bisher dezentral untergebrachten Bibliotheksbestände sollen in einem Neubau einer künftig gemeinsam geführten philologischen Bibliothek aufgestellt werden.

Die neue „Foster-Bibliothek“

Seit den Asbestfunden waren inzwischen 7 Jahre vergangen, als endlich 1997 auf der Basis des Bedarfsprogramms der FU von der Senatsverwaltung ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde; sieben Architekturbüros wurden eingeladen. Die Jury vergab den ersten Preis an Norman Foster, dessen Büro in Berlin zu dieser Zeit mit dem Reichstagsumbau befaßt war. Foster schlug zwei Lösungsalternativen für den Bau der gemeinsamen philologischen Bibliothek vor: Die erste Variante entsprach der Ausschreibung, die einen Einbau der Bibliothek in die Altbausubstanz der „Rostlaube“ forderte. Als zweite (und funktional bessere) Variante schlug Foster einen unabhängigen Neubau auf dem Parkplatz neben der „Rostlaube“ vor. Diese Variante deckte sich mit dem Planungskonzept, das die FU ursprünglich verfolgt hatte, von der Senatsverwaltung aber verworfen worden war. Vorstöße der FU, dieses Modell nun doch noch zur Planungsgrundlage zu machen, blieben leider erfolglos. Die jetzt in der Realisierung begriffene Konzeption stellt daher einen Kompromiß dar. Zum einen sind die durch den Abriß von Teilen der "Rostlaube" verursachten Flächenverluste ein deutlicher Nachteil. Diese wären ebenso wie die aufwendige Baustellenlogistik der Einbauvariante vermeidbar gewesen, wenn man der (auch aus diesem Grund von Foster empfohlenen) externen Variante gefolgt wäre. Daß diese aber zwangsläufig zu höheren Kosten gegenüber der nun im Bau befindlichen Variante hätte führen müssen, ist angesichts des auch jetzt nicht einzuhaltenden Kostendeckels eine nicht bewiesene These.

Anyway – das Bibliotheksgehäuse, das nach dem Entwurf von Foster and Partners entsteht, dürfte, wenn es erst einmal zu Ende gebaut sein wird, ein Bauwerk von besonderer Eigenart und Attraktivität werden und dem FU-Campus eine neue bauliche Identität verleihen.

  1. Die Charta von Athen war 1933 verabschiedet worden von den u.a. auf Anregung von Le Corbusier gegründeten CIAM (Congrès Internationaux de l’Architecture Moderne). Sie sprach sich für eine strenge Einteilung der Städte in getrennte Funktionszonen ("Die funktionelle Stadt") und eine Dominanz des Verkehrs aus. In den 50er Jahren schlossen sich jüngere Architekten aus verschiedenen Ländern in der Gruppe des Team X (das ursprünglich den 10. CIAM-Kongreß vorbereiten sollte) zusammen mit dem Ziel einer Revision der CIAM-Glaubenssätze. Angehörige des Team X waren u.a.: Alison und Peter Smithson, Jakob B. Bakema, Georges Candilis, Giancarlo de Carlo, Aldo van Eyck, Manfred Schiedhelm und Shadrach Woods.
  2. "Shadrach Woods was among a group of architects that took on the task of assessing and reorienting the legacy of Modern Architecture after World War II. Founding member of the legendary Team 10 and partner of the firm Candilis-Josic-Woods, he produced some of the most radical and influential architectural and urban projects of the 1950s and 60s, from the ATBAT Housing in North Africa to the Berlin Free University". In: Gabriel C. Feld, The Work of Shadrach Woods

Einige Daten zur Planung:

Fläche (Hauptnutzfläche):

Philologische Bibliothek 6.300 qm HNF, Institute 9.300 qm HNF

Stellkapazität für Bücher: 1.900 lfdm Doppelregale (bei 30 Bde pro lfdm. = ca. 690.000 Bände)

Baukosten: Bisher festgelegter Kostendeckel für alle Maßnahmen in der „Rostlaube“: 102 Mio. DM

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