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Erweiterung der Digitalen Interviewsammlungen

13.07.2022

Digitale Interviewsammlungen

Digitale Interviewsammlungen
Bildquelle: CeDiS / Freie Universität Berlin

Zwei wichtige Meilensteine konnten die an der Universitätsbibliothek der FU angesiedelten Digitalen Interview-Sammlungen kürzlich präsentieren: Ein neues Zeitzeug*innen-Archiv zur Geschichte der Colonia Digidad ist online gegangen; das bestehende Archiv zur NS-Zwangsarbeit erhielt eine neue Teilsammlung.

Oral-History-Archiv mit lebensgeschichtlichen Interviews zur Colonia Dignidad veröffentlicht

Ein neues Online-Archiv zeigt seit Mitte März 2022 Zeitzeug*innen-Interviews zu Menschenrechtsverletzungen in der früheren Sektensiedlung „Colonia Dignidad“ (Kolonie Würde) in Chile. Das zweisprachige Online-Portal „Colonia Dignidad. Ein chilenisch-deutsches Oral-History-Archiv“ umfasst 64 lebensgeschichtliche Video-Interviews mit ehemaligen Bewohner*innen, überlebenden politischen Gefangenen, Angehörigen von Verschwundenen, chilenischen Jungen, die als Kinder durch Sektenführer Paul Schäfer sexuelle Gewalt erfuhren, sowie mit Fachleuten zum Thema. Die in deutscher oder spanischer Sprache geführten Video-Interviews wurden transkribiert, übersetzt und wissenschaftlich aufbereitet.

Das vom Deutschen Bundestag initiierte und vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland geförderte Projekt wurde vom Arbeitsbereich Digitale Interview-Sammlungen der Universitätsbibliothek in Kooperation mit der Abteilung Geschichte des Lateinamerika-Instituts der Freien Universität verwirklicht. Am 17. März wurde die neue Interview-Plattform im Rahmen einer Veranstaltung mit Gästen aus Chile und Deutschland im Berliner Humboldt Forum der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Colonia Dignidad war eine deutsche Sektensiedlung im südlichen Chile, in der zwischen 1961 und 2005 Mitglieder und ihre Kinder schweres Leid erfuhren. So wurden viele von ihnen isoliert, indoktriniert, ausgebeutet, gequält und sexuell missbraucht. Während der chilenischen Diktatur 1973 bis 1990 wurden Oppositionelle dort gefoltert und ermordet. Bis heute sind diese Verbrechen in Deutschland und in Chile unzureichend aufgearbeitet.

Das neue Online-Portal macht Gespräche mit sehr unterschiedlichen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus dieser Zeit nun in einem geschützten Rahmen für Wissenschaft und Bildung zugänglich.

Neue Teilsammlung „Ukraine“ im Online-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945 – Erinnerungen und Geschichte“

Eine neue Teilsammlung des Online-Archivs „Zwangsarbeit 1939-1945 – Erinnerungen und Geschichte“ haben die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) Ende Juni im Rahmen einer Online-Veranstaltung gemeinsam vorgestellt. Die Teilsammlung umfasst 40 Audio- und Video-Interviews ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter aus der West-Ukraine.

Die Interviews sind Teil von rund 600 Lebenserinnerungen ehemaliger Zwangsarbeiter*innen des NS-Regimes aus 26 Ländern, die in den Jahren 2005 bis 2006 aufgezeichnet wurden. Koordiniert wurde das Interview-Projekt durch die FernUniversität Hagen. Die Freie Universität Berlin hat diese Audio- und Video-Interviews inhaltlich erschlossen und stellt sie in dem Online-Archiv Schulen und Gedenkstätten, Forschenden und Interessierten zur Nutzung bereit. Transkripte, Übersetzungen, Fotos und Kurzbiografien sowie Expertengespräche sind Teil der Interviewsammlung.

Nun ist das Archiv um eine neu aufbereitete Teilsammlung von 40 Interviews erweitert worden, die sich dem besonderen Schicksal von Zwangsarbeiter*innen aus der West-Ukraine widmet.

Zwischen 1941 und 1945 leisteten etwa 2,4 Millionen Menschen aus der Ukraine Zwangsarbeit für das nationalsozialistische Deutschland. Etwa 350.000 von ihnen kamen aus den westukrainischen Distrikten. In den Interviews berichten 17 Frauen und 23 Männer über ihr Aufwachsen in der West-Ukraine, ihre Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Deutschland oder über ihre Deportation in Konzentrationslager. Die zumeist in der Landwirtschaft und der Industrie eingesetzten Zwangsarbeitenden erinnern sich an die Bedingungen, unter denen sie zur Arbeit gezwungen wurden, an das Verhältnis zur deutschen Bevölkerung und an die schwierige Rückkehr nach Hause, wo sie häufig eine zweite Verfolgung erfuhren.

Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen russischen Angriffskrieges sind diese Lebensgeschichten eindrückliches Zeugnis der von Angriffen und Besatzung geprägten Geschichte der Ukraine.

Die Digitalen Interview-Sammlungen an der Freien Universität

Der Arbeitsbereich Digitale Interview-Sammlungen – vormals Teil des Centers für Digitale Systeme (CeDis), das heute zur Universitätsbibliothek (UB) gehört – ist in der Abteilung Dienste für Forschung an der UB angesiedelt.

Seit 2006 widmet sich der Arbeitsbereich der Arbeit mit Oral History-Interviews. Neben der Bereitstellung verschiedener bedeutender Interview-Sammlungen zum Nationalsozialismus und Holocaust für Forschung und Lehre an der FU werden hier multimediale Bildungsangebote zum Lernen mit Interviews an Schulen konzipiert.

Über das historische Themenfeld „Nationalsozialismus und Holocaust“ hinaus werden seit 2018 Interview-Sammlungen zu weiteren Themen aufgebaut; darunter neben der Sammlung zur „Colonia Dignidad“ etwa solche zur Geschichte der Freien Universität oder des DDR-Grenzregimes.

Außerdem entwickelt der Arbeitsbereich Tools zur digitalen Unterstützung des Sammlungsmanagements und der wissenschaftlichen Erschließung und Analyse von Interviews. Die Expertise des Arbeitsbereichs deckt dabei den gesamten Prozess von der Interviewführung über das Sammlungsmanagement, die wissenschaftliche Erschließung bis zur digitalen Bereitstellung und didaktischen Aufbereitung der Oral-History-Interviews ab.

Eine Übersicht aller derzeit bestehenden (bzw. im Aufbau befindlichen) digitalen Interview-Sammlungen finden Sie hier.

Kontakt:


Dr. Doris Tausendfreund – Teamleitung Digitale Interview-Sammlungen

Universitätsbibliothek

Abteilung Dienste für Forschung

E-Mail: interviewsammlungen@cedis.fu-berlin.de