Springe direkt zu Inhalt

Zwei Bücher kehren nach Lublin zurück

29.11.2022

Übergabe an die Jüdische Gemeinde Lublin

Übergabe an die Jüdische Gemeinde Lublin
Bildquelle: Monika Tarajko

Sieben Bücher sind bisher nach Lublin zurückgekehrt

Sieben Bücher sind bisher nach Lublin zurückgekehrt
Bildquelle: Monika Tarajko

Die Arbeitsstelle Provenienzforschung der Universitätsbibliothek und das Berliner Centrum Judaicum konnten kürzlich zwei Bände in hebräischer Schrift als NS-Raubgut identifizieren und restituieren.

Am 23. September 2022 fand in der Synagoge der Lubliner Chachmej Jeschiwa (deutsch: Jüdische Jeschiwa der Weisen in Lublin), einer 1930 eröffneten jüdischen Hochschule für das Studium des Talmuds und der Tora, eine kleine Zeremonie statt. Geladen hatte die Jüdische Gemeinde Lublin im östlichen Polen. Der Anlass war die Übergabe von zwei Bänden in hebräischer Schrift, die im Zuge der Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin und der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum identifiziert worden sind. Die beiden Bücher konnten aufgrund von in ihnen enthaltenen Spuren der ehemaligen Bibliothek der Lubliner Chachmej Jeschiwa zugeordnet werden.

Auf Spurensuche in Berlin

Im Bibliotheksbestand des Instituts für Judaistik an der Freien Universität Berlin konnte im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts das Buch Megale Amukot (deutsch: „Offenbarer der Tiefen“) identifiziert werden, das auf dem Titelblatt der hebräische Stempel ישיבת חכמי לובלין (translit.: Yeshivat Ḥakhmey Lublin) ziert. Neben dem Stempel enthält der 1858 in Lemberg (heute Lwiw) publizierte Band noch weitere Provenienzmerkmale: Dazu zählt auch eine handschriftliche Eintragung „2154“. Hierbei muss es sich um die Zugangsnummer des Buches in der Bibliothek gehandelt haben.

Mithilfe des Zugangsbuches in der Campusbibliothek konnte herausgefunden werden, dass die FU das Exemplar am 4. Oktober 1966 im Londoner Antiquariat B. Hirschler erworben hatte. Weitere Hintergründe, primär über den Weg des Buches, lassen sich mithilfe der Provenienzen nicht eindeutig aufklären. Vor dem geschilderten historischen Hintergrund war das Buch als Raubgut anzusehen, das an seine heutigen Eigentümer zurückzugeben ist.

Beim zweiten Band, der im Bibliotheksbestand des Centrum Judaicum identifiziert wurde, gestaltete sich die Erforschung etwas schwieriger. Lediglich ein Brief in jiddischer Sprache, dessen Briefkopf auf die Lubliner Chachmej Jeschiwa verweist, lag dem stark beschädigten Exemplar שלחן שלומו (translit.: Shulḥan Shlomo, Warschau 1882) bei.

Der Autor war ein gewisser Pinchas, von dem wir annehmen, dass er ein Student der Jeschiwa gewesen ist. Denn sein Schreiben, in dem er von seinem Studium sprach, richtete er an seine Großmutter und Tanten. Dass auch bei diesem Buch von einem NS-verfolgungsbedingten Entzug ausgegangen werden musste, stützt sich auf einen Stempel der Berliner Stadtbibliothek (BStB). In dem Wissen, dass der Band offensichtlich aus einem Ankauf der BStB von der Berliner Pfandleihanstalt aus dem Jahr 1943 stammte, welche in dieser Zeit das geraubte und zwangsverkaufte Eigentum jüdischer Menschen und Institutionen veräußerte.

Die beiden hier vorgestellten Exemplare wurden im Zuge der Bearbeitung in die kooperative Datenbank Looted Cultural Assets (LCA) eingearbeitet, die von der FU Berlin gehostet wird. Durch den Open-Access-Ansatz können Nutzer*innen weltweit auf unsere Forschungsergebnisse zugreifen und diese weiternutzen.

Die restituierten Bände in der Datenbank LCA:

Kontakt und Übergabe an die Jüdische Gemeinde Lublin

Dank dieser Herangehensweise entstand im Sommer 2022 der Kontakt zur Jüdischen Gemeinde in Lublin, die als offizielle Rechtsnachfolgerin der Lubliner Jeschiwa auftritt. Vonseiten der Universitätsbibliothek der FU Berlin brachten wir zum Ausdruck, dass wir eine Restitution in Betracht ziehen. Agniezska Litman von der Lubliner jüdischen Gemeinde war sehr berührt von unserem Fund und kam schnell zu der Überzeugung, dass die beiden Bücher im Rahmen einer kleinen Zeremonie in Lublin übergeben werden sollten. Diesem Wunsch kam die Arbeitsstelle für Provenienzforschung sehr gerne nach. Dank der Unterstützung der Deutschen Botschaft in Warschau und dem Deutschen Generalkonsulat in Lublin konnte die Reise realisiert werden.

Damit befinden sich nach mehr als 80 Jahren nun sieben Bücher der Jeschiwa im (Wieder-)Besitz der Jüdischen Gemeinde Lublin. In Lublin besteht die Hoffnung, dass sich dieser Bestand noch vergrößern wird. Die Provenienzforschung von deutscher Seite hat mit der Restitution der Exemplare durch die FU Berlin und dem Centrum Judaicum einen Beitrag dazu geleistet. Einige Bücher warten vielleicht noch darauf, antiquarisch, privat oder im Rahmen der Provenienzforschung entdeckt zu werden.

Stephan Kummer, Arbeitsstelle Provenienzforschung

 

Zum Weiterlesen:

Eine ausführliche Version dieses Berichts mit zusätzlichen, vertiefenden Informationen zur Geschichte der jüdischen Hochschule Chachmej Jeschiwa lesen Sie im LCA-blog – Neues zur Provenienzdatenbank Looted Cultural Assets, dessen Lektüre wir generell sehr empfehlen!


Der Zwei-Jahres-Bericht der Senatsverwaltung für Kultur und Europa zur Provenienzforschung in den Kultureinrichtungen Berlins ist Mitte Oktober erschienen. Wie immer hat die Arbeitsstelle Provenienzforschung der UB hieran mitgearbeitet.