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Oral-History.Digital. Eine Plattform für audiovisuelle Forschungsdaten

29.01.2024

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Die Universitätsbibliothek betreibt seit September 2023 das Interviewportal Oral-History.Digital, eine Erschließungs- und Rechercheplattform für wissenschaftliche Sammlungen von audiovisuell aufgezeichneten narrativen Interviews.

Universitätsbibliotheken stehen im digitalen Wandel derzeit vor großen Herausforderungen. Zu ihren wichtigsten Handlungsfeldern gehört der Aufbau nachhaltiger Informationsinfrastrukturen für Forschungs- und Kulturdaten. Neben institutionellen Repositorien eher generischen Charakters wird dabei der Bedarf einzelner Forschungscommunities nach spezifischen Angeboten für bestimmte Datentypen immer deutlicher.

Dies gilt etwa für die audiovisuellen Forschungsdaten aus dem Bereich der Oral History. Diese Zeitzeugen-Interviews sind wichtige Quellen für die Geschichtswissenschaft, für Ausstellungen und Bildungsprojekte, und werden zunehmend auch von anderen Disziplinen ausgewertet.

Die in verschiedenen Erinnerungsinstitutionen und Forschungsprojekten entstandenen Audio- oder Video-Interviews sind allerdings verstreut, mit unterschiedlichen Verzeichnungssystemen erschlossen und häufig schlecht zugänglich. Eine sammlungsübergreifende Recherche in den verstreuten Beständen ist nicht möglich. Im Vergleich zum angelsächsischen Raum ist die Oral History in Deutschland nur schwach institutionalisiert. Anders in den USA: Dort sind Oral History-Zentren bereits seit den 1970er Jahren ein wichtiger Bestandteil von Universitätsbibliotheken.

Für diese Interviewsammlungen hat ein DFG-gefördertes Konsortium nun die Erschließungs- und Rechercheplattform Oral-History.Digital aufgebaut. Im Sinne der FAIR-Prinzipien macht dieses neue Interviewportal die bislang verstreuten Sammlungen von Zeitzeugen-Interviews auffindbar, zugänglich, verknüpfbar und nachnutzbar.

Interviewprojekte können Audio- und Video-Interviews mit Transkripten, Biografien, Bildern etc. einstellen, bearbeiten und bereitstellen. Je nach Rechtesituation können die Interviews mittels einer differenzierten Nutzungsverwaltung zugänglich gemacht werden. Sammlungsinhaber*innen finden zudem Werkzeuge und Empfehlungen für Transkription, Spracherkennung, Verschlagwortung etc. Langzeitarchivierung und Persistent Identifiers gewährleisten die dauerhafte Verfügbarkeit der Interviews.

Forschende können in der Rechercheansicht von Oral-History.Digital sammlungsübergreifend in großen Beständen recherchieren. Wenn sie für das jeweilige Archiv freigeschaltet wurden, können sie per Volltextsuche über time-codierte Transkripte direkt an ausgewählte Interviewstellen springen und diese Segmente in ihrer persönlichen Arbeitsmappe annotieren.

Mit dieser Infrastruktur erweitert die in dem Projekt federführende Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin ihr Portfolio digitaler Forschungs- und Publikationsservices im Bereich audiovisueller Forschungsdaten. Konzeptionell und technologisch stützt sich Oral-History.Digital auf Erfahrungen aus früheren Projekten im Bereich Digitale Interview-Sammlungen der Universitätsbibliothek, etwa Zwangsarbeit 1939-1945, Colonia Dignidad oder Erlebte Geschichte entstanden.

Oral-History.Digital wird von sechs Partnerinstitutionen in der Community gemeinsam mit einem interdisziplinären Beirat konzipiert. Fast 30 Pilotarchive bringen ihre jeweils einzigartigen Interviewsammlungen ebenso ein wie ihre vielfältigen Erfahrungen und Anforderungen.

Die Freie Universität Berlin wird Oral-History.Digital auch nach Ablauf der zweiten Förderphase im Jahr 2026 als wissenschaftliche Dienstleistung weiter betreiben. Durch entsprechende Verträge mit bislang zwei Dutzend Archivpartnern konnte ein nachhaltiges Betriebsmodell eingerichtet werden. Auch die Mitwirkung an der Nationalen Forschungsdaten-Infrastruktur über das NFDI-Konsortium 4Memory sichert eine kontinuierliche Weiterentwicklung ab.

Weitere Informationen

Literatur:

  • Linde Apel, Almut Leh, Cord Pagenstecher, Oral History im digitalen Wandel. Interviews als Forschungsdaten, in: Linde Apel (Hg.), Erinnern, erzählen, Geschichte schreiben. Oral History im 21. Jahrhundert, Berlin: Metropol 2022, 193-222, https://zeitgeschichte-hamburg.de/files/public/FZH/PDF/apel_erinnern_ebook_offen.pdf
  • Cord Pagenstecher, Oral-History.Digital. Eine Erschließungs- und Rechercheplattform für audiovisuelle narrative Forschungsdaten, in: o-bib. Das offene Bibliotheksjournal, Bd. 10 (1), 2024 (im Erscheinen)